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Sich davontragen lassen

Sich auflösen, mitfließen will man in „Satyagraha“, der Oper von Philip Glass, die Sidi Larbi Cherkaoui für die Komische Oper inszeniert hat

Tatsächlich lösen Musik und Bewegung eine Art Rausch aus

Von Katrin Bettina Müller

Für gleich drei Häuser hat der Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui ein Regiekonzept für die Oper „Satyagraha“ von Philip Glass entwickelt. Am Freitag war die Berliner Premiere in der Komischen Oper, überhaupt die erste Inszenierung der 1980 uraufgeführten, dreistündigen Komposition in einem Berliner Opernhaus. Im März war die Koproduktion im Theater Basel herausgekommen, eine dritte Premiere steht in Antwerpen an, wo Cherkaoui mit seiner Eastman Company zu Hause ist. Musiker, Chor und die Sänger der Solisten kommen jedes Mal vom Haus, den sehr dynamischen tänzerischen Part übernehmen die 12 Tänzer von Cherkaouis Eastman Company.

Und doch glaubt man oft, eine viele größere Gruppe von Tänzern zu sehen, weil Sidi Larbi Cherkaoui auch den Chor und die Sänger in Bewegung setzt. Sie bilden ein Heer von Suchenden, Flehenden, von Hin-und-her-Laufenden auf der Bühne, in einen Strom geworfen von der Musik, der man sich bald nicht mehr entziehen kann. Wie die menschliche Stimmen und die Instrumentalstimmen von Streichern und Holzbläsern ineinandergreifen, nebeneinander aufsteigen, vorwärts laufen und sich kreuzen, sich aneinander schmiegen, so verflechten sich auch die weichen, kreiselnden, in den Boden fließenden und wieder hochwirbelnden Körper der Tänzer zu einem immer dichter werdenden Muster, bis eine neue Stimme, ein neuer Faden in das Muster hineingewebt wird.

Dass man auf der Musik von Philip Glass, auf der Dynamik ihrer Wiederholungen „surfen“ kann wie auf den „Wellen eines Meeres“, sagt Sidi Larbi Cherkaoui im Programmheft. Tatsächlich lösen Musik und Bewegung etwas von einem Rausch aus, einem hymnischen Eintauchen. Der Choreograf, der selbst auch eine Gesangsausbildung hat, hat in seiner Geschichte oft die Begegnung mit rituellen Gemeinschaften gesucht, wie mit den Mönchen eines Shaolin-Klosters für die Entwicklung eines Tanzstücks. Die Oper „Satyagraha“ nutzt einerseits als Libretto einen alten Sanskrittext, eine Lehre von Verzicht und Entsagung der Begierden, ein Aufruf zum Handeln und Wissen.

Die Figuren der Sänger verweisen auf das Leben Gandhis, die Kapitelüberschriften der einzelnen Bilder auf konkrete Momente seines politischen Wegs. Erzählt wird die Geschichte in Glass’ Oper allerdings nicht, sie bildet mehr den Hintergrund, vor dem sich die musikalische Meditation, in der sich die lautmalerischen Zeilen vielfach wiederholen, entfaltet. Mit seinen vielen einfachen Harmonien, die ohne Widerstand vorwärts zu laufen scheinen, entwickelt die Musik einen großen Sog, der durch den Tanz noch verstärkt wird.

Auch wenn man den Ansatz der Verehrung und Heroisierung eines geistigen Führers, wie er der Oper von Philip Glass zugrunde liegt, nicht teilt, so kann man sich doch kaum ihrer Schönheit und des Ergriffenwerdens entziehen. Man möchte sich auflösen in diesem Strom, Teil von ihm werden. Die Bewegung ist auch stetig eine der Emotionen: Mitgefühl, Leiden, Melancholie und Trauer werden geteilt. Die Choreografie entfaltet viele kreisende Bilder, und so hat man schließlich fast das Rad des Lebens vor Augen.

Mit dieser Produktion stellt sich Jonatham Stockhammer als Dirigent in der Komischen Oper vor. Im Programmheft erzählt er von dem ungewohnten Umgang mit Ausdauer, Dynamik, Zeit und Atem der Musik, den die Oper des amerikanischen Komponisten Orchester, Chor und Sängern abverlangt. Dass es für sie eine Herausforderung und neue Erfahrung war. Aber nichts von dieser Anstrengung teilt sich mit, sanft und umarmend begegnet einem diese Klanglandschaft.

Wieder am 31. Oktober, 2./5. + 10. November

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