Auf der Suche nach dem Norden

BALTISCH Auf den 54. Nordischen Filmtagen in Lübeck werden bis Sonntag etwa 150 Filme aus Nordeuropa gezeigt. Auf dem Programm stehen viele Dokumentarfilme und eine Retrospektive mit Horrorfilmen

VON WILFRIED HIPPEN

Bei der Schwemme von lokalen Filmfestivals wird es immer wichtiger, ein markantes Profil zu haben. Bei den Nordischen Filmtagen macht schon der Titel deutlich, dass hier nicht, wie bei einigen anderen Filmfesten, mit einem möglichst breiten Programm ein Kessel Buntes präsentiert wird. Durch die Beschränkung auf Filme aus Nordeuropa wird der Blick genauer und die Auswahl sorgfältiger.

Zum Glück für die Filmemacher ist vor allem das skandinavische Kino seit einigen Jahren sehr produktiv und erfolgreich. Und so kann der Wettbewerb mit den neuen Filmen von einigen alten Bekannten des Festivals glänzen. Thomas Vinterberg erzählt in „Die Jagd“ davon, wie ein Pädagoge sich gegen den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs einer Schülerin wehrt.

Susanne Bier hat dagegen einer romantische Komödie mit Pierce Brosnan mit dem treffenden Titel „Love is al You Need“ inszeniert. Der Däne Bille August, der 1989 mit „Pelle der Eroberer“ einen Oscar gewann, hat nach fünf Jahren wieder einen Film fertiggestellt. Sein historisches Drama „Marie Kroyer“ ist das Porträt der Ehefrau des Malers P.S. Kroyer, die versuchte, um 1900 ein emanzipiertes Leben zu führen. Auch der Schwede Jan Troell lässt sich Zeit mit seinen Filmen, die dann aber auch immer zugleich intime und epische Werke wie „Die Auswanderer“ oder „Die ewigen Augenblicke der Maria Larsson“ sind. In „Das letzte Urteil“ beschreibt er, wie der schwedische Journalist Torgny Segerstedt in den 30er und 40er Jahren Artikel gegen Adolf Hitler schreibt. Selbst die Intervention von König Gustav V, der sich dem Druck der Deutschen beugt, kann den Idealisten nicht davon abhalten, die Wahrheit zu schreiben.

Während etwa beim Oldenburger Filmfest die Programmreihe mit Dokumentarfilmen rigoros dem Sparzwang geopfert wurde, bilden sie in Lübeck mit 22 Produktionen einen Eckpfeiler des Festivals. Für „Canned Dreams“ begab sich die finnische Regisseurin Katja Gauriloff auf eine Weltreise, um zu zeigen, welche globalen Arbeitsschritte nötig sind, damit eine Dose Ravioli so billig wie nur möglich im Supermarkt angeboten werden kann. „Der Verrat“ ist eine schonungslose Selbstbefragung der Filmemacherin Karen Winther, die in den 90er Jahren zur norwegischen Neo-Nazi-Szene gehörte.

Mit „Regilaul – Lieder aus der Luft“ hat Ulrike Koch einen Film über die estnische Musiktradition der Regi-Lieder gemacht, in denen sich die Kultur der Schamanen mit der Moderne vermischt und in „Liv & Ingmar“ erinnert sich Liv Ullmann an ihr Leben und ihre Arbeit an der Seite von Ingmar Berman.

Im Filmforum, das seit 25 Jahren Teil des Festivals ist, zeigt die künstlerische Leiterin Linde Fröhlich eine Auswahl von Filmen, die in Norddeutschland produziert wurden. Die Bandbreite reicht von der Komödie „Fraktus“, in der im Stil einer Musikdokumentation die sehr wild und witzig erfundene Geschichte der norddeutschen Pioniere von Techno erlogen wird bis zu der Dokumentation „Erlesene Welten“ der Bremer Filmemacherin Beatrix Schwehm, in dem drei mobile Büchereien in Begalen, Somalia und der Mongolei vorgestellt werden.

Die Retrospektive ist in diesem Jahr dem „Kalten Grauen“ gewidmet. In der Reihe mit Horrorfilme aus dem Norden wird wieder einmal Murnaus „Nosferatu“ gezeigt. Der Film passt zwar nicht wirklich in die Reihe vom „Grusel und Schauer im skandinavischen Kino 1921–2011“, aber immerhin er wurde zum Teil in Lübeck gedreht und deshalb heute Abend in der St. Petri Kirche mit der live gespielten Musikbegleitung durch das Gitarrenorchester Gilbert Couché aufgeführt. Dieses spielt auch am Samstagabend in der Reformierten Kirche eine eigenwillige Stilmischung mit Stücken von Led Zeppelin, The Doors, Thelonious Monk und den Rattles (!), die hoffentlich nicht von den Schrecken des schwedischen Stummfilms „Häxan“ von 1922 ablenkt. Neben Carl Theodor Dreyers „Vampyr“ wird auch das finnische Melodram „Das weiße Rentier“ von 1952 gezeigt, in dem ein lappisches Findelkind sich in eine Vampirin verwandelt. Neben Bergmans „Die Stunde des Wolfes“ ist auch Lars von Triers Fernsehserie „Hospital der Geister“ zu sehen und die Reihe wird schließlich durch die Mockumentary „Auf der Jagd nach Norwegischen Trollen“ abgerundet.