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Das verzerrte Echo der Vergangenheit

Bei der KP-Jugend zählt Lenin noch etwas. Und Stalins Werke stehen als Neuausgabe im Regal

Trotzki gilt im Moskauer Komsomol noch immer als Verräter. Und die Schauprozesse 1937 hätten schon ihre Richtigkeit

Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Geht es hier zum Lenin’schen Komsomol? Die Jugendlichen gucken entgeistert. „Was bitte? Da kommen Sie rund 25 Jahre zu spät“, prustet einer von ihnen los. Sie rauchen vor dem Haus, in dem auch der kommunistische Jugendverband untergebracht sein soll. Das Büro ist nicht leicht zu finden. Weder gibt es einen Hinweis auf der Straße noch ein Schild an der Bürotür.

Der einst mächtige Jugendverband der ­KPdSU erweckt den Eindruck, als müsse er sich verkriechen. Rund 40 Millionen Mitglieder zählte die Organisation in den 80er Jahren. Wer auf der Karriereleiter vorankommen wollte, tat gut daran, dem Komsomol beizutreten.

Sekretär der Moskauer Niederlassung ist der 26-jährige Andranik Mkrtitschian, von Beruf Ingenieur für Wasserbauwesen. Der Drang nach Gerechtigkeit hat ihn zum Kommunisten gemacht, sagt er. Schon als Kind schleppte er Literatur nach Hause, die Bibliotheken nach dem Ende der Sowjetunion entsorgten. Was andere auf den Müll warfen, verschlang er. Seine Argumente klingen wie das Echo einer versunkenen Zeit. In Haltung und Sprache verkörpert Andranik Mkrtitschian den perfekten Funk­tionär. Gestreifter Pullover und gestreifte ­Krawatte, galstuk auf Russisch, lassen die Ästhetik der vergangenen Epoche wieder aufleben. „An die Jugend heranzukommen ist schwierig“, sagt er. Es dränge junge Leute nicht nach Veränderung. Zu lange sei ihnen eingebläut worden, dass es„ gut ist, so wie es ist“, sagt er mit Blick auf die Ära Putin. Er ziert sich, als er die Zahl der Komsomolzen in Moskau nennen soll. „Nicht wirklich viele“, sagt er. Landesweit sei man „mit mehr als 50. 000 Aktiven eine der größten Jugendorganisationen“. Offenbar ist der Komsomol in der Provinz erfolgreicher.

Links zu sein ist zwar bei Jüngeren wieder in Mode. Vor allem der Nachwuchs aus begüterten Kreisen kokettiert damit. Doch der Komsomol profitiert davon nicht. Vielleicht wegen seines allzu schlichten Geschichtsbildes. Im Regal steht eine Neuausgabe von Stalins Werken. Daneben eine blütenweißen Büste des Tscheka-Gründers Felix Dserschinski, des ersten sowjetischen Geheimdienstchefs. „Wir sind Leninisten-Stalinisten“, sagt die 19-jährige Jurastudentin Darja Bagina. „Beide Führer sind für uns gleich wichtig.“ So knüpft der Komsomol bruchlos an die Vor-Gorbatschow-Ära an. Auch Leo Trotzki, Gründer der Roten Armee, gilt hier „als Volksfeind“, sagt der Chefkomsomolze. Warum? Wegen Trotzkis Kritik an Stalin.

Auch die Schauprozesse gegen Bolschewiken der ersten Stunde, gegen Sinowjew und Bucharin, finden Verständnis Die Revolutionäre hätten dem Land geschadet, „weil sie innerhalb der KPdSU eine Opposition gründeten. Dafür mussten sie büßen“, so die Meinung. „Urteile der Volksgerichte werden nicht ganz unbegründet gewesen sein“, sagt Andranik.

Die Absurdität der inszenierten Anklagen der Schauprozesse setzte in Russland nicht nur die Logik außer Kraft. Sie vernichtete deren Grundlagen. Die traumatischen Verdrängungen suchen schon die vierte Generation heim. Schwindelerregend.

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