wiedergelesen: Endlich mal nicht der Schimmelreiter
Von Daniel Trommer
Für Luke Skywalker ist es ein Schock: „Ich bin dein Vater!“, schleudert Darth Vader ihm entgegen. Ein Schock für den Helden der „Star Wars“-Filme – und einer der berühmtesten Vater-Sohn-Konflikte unserer Zeit, ausgetragen auf der großen Leinwand. Auch in der Literatur sind viele Klassiker solche Vater-Sohn-Dramen. Nehmen wir Theodor Storm, diesen berühmtesten Autoren der Norddeutschen, der im ausgehenden Jahr 200 geworden wäre, was ja hie und da auch gefeiert wurde – meist unter Hinweis auf den „Schimmelreiter“, aber Storm hat, klar, noch viel mehr geschrieben.
Zum Beispiel diese traurige, fein erzählte Novelle aus dem Jahr 1883, die Geschichte von Hans Adam Kirch aus Heiligenhafen, einem Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen, und seinem Sohn Heinz. Ihre Beziehung bekommt Risse, als der Sohn Zeuge eines erschütternden väterlichen Gewaltausbruch auf See wird. Später dann hat Heinz kurz vor Antritt einer längeren Schiffsreise ein heimliches Date mit Wieb, die „der wilde Heinz“, so Storm, dabei „fast totgeküßt“ hätte. Als der Vater davon erfährt, schreibt er dem schon abgereisten Sohn einen anklagenden Brief. Heinz lässt daraufhin lange nichts von sich hören, und mit Hans ist lange „kein leichter Hausverkehr“.
Als nach zwei Jahren endlich Post aus der Ferne kommt, ist das Porto nicht bezahlt. „Hans Adam lachte grimmig in sich hinein. – Nicht mal das Porto hatte er gehabt! Und der, der sollte im Magistrat den Sitz erobern, der für ihn, den Vater, sich zu hoch erwiesen hatte!“ Also schickt Vattern den Boten wieder weg, und seiner Frau erzählt er davon nichts. In den folgenden 15 Jahren vernimmt keiner ein Sterbenswörtchen von Heinz, und Hans verbittert mehr und mehr. Die Geschäfte übernimmt der Schwiegersohn, irgendwann stirbt Heinz’Mutter, ohne den Sohn noch mal gesehen zu haben.
Der weitere Verlauf ist auch ein Lehrstück über den Sieg von Wunsch und Verschwörung, über die Kraft der Fakten. Noch mehr Fake-News-Aktualitätsbezug gefällig? Storm erweist sich als früher, vielleicht erster Chronist des Hipstertums, wenn er über den Bart schreibt: „Seit dieser unzierliche Zierrat Mode worden, kann man die Knaben in den Jünglingen nicht wiedererkennen.“
In der Aktualität von Storms Themen sowie ihrer knappen, aber mitreißenden Darstellung zeigt sich seine Meisterschaft. (Ist es Zufall, dass die Rolle der Mutter und die Ausarbeitung der Beziehung zu Wieb, also wiederum: einer Frau, unter der relativen Kürze des Textes leiden?) Die Familie, das Dorf, die hart erarbeiteten Schiffe, zwei Nachbarn und viel Neid, Stolz, Dickköpfigkeit: Mehr braucht es nicht, um mit dem Vater-Sohn-Konflikt die ganz großen Themen gleich mit zu verhandeln, Schuld, Sühne, Liebe, Tod. Mit wachsendem Entsetzen folgt der Leser den sich hochschaukelnden gegenseitigen Verletzungen der beiden Männer, ihrer zunehmenden Verstockung, bis die ihre Gräben so tief gebuddelt haben, dass sie unüberwindbar sind. Ganz großes Kino.
Theodor Storm, „Hans und Heinz Kirch“, erhältlich als Taschenbuch (Hofenberg, 2016), antiquarisch sowie online auf Projekt Gutenberg
In der Serie „Wieder-gelesen“ besprechen unsere AutorInnen norddeutsche Bücher, die vor langer Zeit erschienen, ihnen aber nicht aus dem Kopf gegangen sind
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