: Ein Hauch von Formalin
Die Ausstellung „Diorama. Erfindung einer Illusion“ in der Frankfurter Schirn widmet sich der Kunst des Schaukastens und der Simulation des Lebendigen
Von Tilman Baumgärtel
Das Leben des Carl Akeley ist der Stoff, aus dem die ganz großen Tragödien sind. Der amerikanische Tierpräparator schlug 1909 dem American Museum of Natural History in New York vor, mit vierzig großen Schaukästen die Landschaften und Tiere Afrikas darzustellen, die zu dieser Zeit bereits am Verschwinden beziehungsweise vom Aussterben bedroht waren. Die Leitung des Museums schickte Akeley nach Afrika, um dort nach Tieren zu jagen, die man als Präparate im Museum zeigen konnte.
Akeley wollte die Natur und die Tiere festhalten, die er in ihrer ganzen Schönheit erlebt hatte – und dazu musste er einige prachtvolle Exemplare töten. Besonders ein Gorilla aus dem Virunga-Gebirge im Kongo, zu dieser Zeit eine belgische Kolonie, hatte es dem Naturforscher angetan. Er schoss ihn bei einer Expedition im Jahr 1921. In New York erstellte er Gipsabdrücke von seinem Schädel, seinen Händen und seinen Füssen wie von einem geliebten Familienangehörigen. Dann schuf er eine Bronzebüste von dem Affen, dem er – nach dem Berg, auf dem er ihn getötet hatte – den Namen „Der Alte vom Mount Mikeno“ gegeben hatte.
„Im Grunde mag ich ihn mehr als mich selbst“, schrieb er in einem Brief. Die sterblichen Überreste des Tiers präparierte er so sorgfältig, dass sie bis heute im New Yorker Naturkundemuseum zu besichtigen sind. Seit fast 100 Jahren steht der unglaublich lebensecht wirkende Gorilla dort nun schon aufrecht in einer detailgetreu nachgebauten Berglandschaft – und scheint nur ganz kurz eine Pause beim Fäuste-auf-die-Brust-Schlagen einlegt zu haben.
1821, das erste Diorama in Paris
Die Gipsabgüsse seiner Hände und Füße sowie die Bronzebüste sind nun in einer tollen Ausstellung in der Frankfurter Schirn zu sehen, die vom Palais de Tokyo in Paris übernommen wurde. Und so wie Carl Akeley umbringen musste, was er liebte, um es zu erhalten, so steckt in jedem dieser Schaukästen, die das Leben so naturgetreu wie möglich festhalten wollen, eine Dosis Tod. Auch wenn die Lebewesen, die in den Dioramen auf Dauer gestellt sind, aus Wachs, aus Plastilin oder aus Gips gemacht wurden: Die Simulation von Lebendigkeit hat immer etwas etwas Gespenstisches, Untotes. The Almost Walking Dead. Ein Hauch von Formalin scheint durch die ganze Ausstellung zu wehen
Schon der Erfinder des Dioramas scheint besessen von der Idee gewesen zu sein, das Leben stillzustellen, um es zu bewahren: Louis Daguerre eröffnete nicht nur 1821 das erste Diorama in Paris und startete damit einen Medienhype, für den die Besucher stundenlang Schlange standen. In den 1830er Jahren entwickelte er mit der Daguerreotypie ein Verfahren zur Bildaufzeichnung, das als Vorläufer der Fotografie gilt. Doch während die Fotografie festhält, was in einem gegebenen Moment vor der Kamera stattfindet, kreiert das Diorama eine Idealversion des dargestellten Geschehens, die von ihren Gestaltern – Präparatoren, Malern, Bühnenbildern – bewusst arrangiert wird, um ihre Essenz hervorzuheben.
Der gnadenlose Kampf der Löwin mit der Gazelle, der waidwunde Blick des Buschbocks, der das Leben aus seinem Körper schwinden fühlt, als der Leopard seine Halsschlagader durchbeißt – das sind kinoartige Inszenierungen, die so in der Natur vielleicht nie stattgefunden haben, aber dem Betrachter ein nachvollziehbares Narrativ über das Leben in der Wildnis liefern.
Es ist das wohl das größte Verdienst dieser Ausstellung, dass sie die Schöpfer der Dioramen als übersehene Künstler vorstellt: Etwa den britischen Präparator Walter Potter, der um 1900 Wald- und Haustiere als „Happy Family“ zu einem überladenen Kitsch-Gruppenselfie arrangieren. Oder Rowland Ward, der zur selben Zeit seine Exponate zu spektakulären Actionszenen zusammenstellte. Und dann ist da noch der Autodidakt Gerrit Schouten, geboren als Sohn eines niederländischen Vaters und einer „kreolischen“ Mutter in Surinam, dessen Dioramen das Alltagsleben der Kolonie detailgetreu in Papiermaché festhielten. Hier hätte man gern noch tiefer bohren und sich den zweiten Teil der Ausstellung schenken können, der eine etwas willkürliche Auswahl von zeitgenössischen Künstlern präsentiert, die sich mit dem Diorama beschäftigt haben.
Deren Werke verblassen im Vergleich mit dem heiligen Ernst, mit dem Präparatoren aus dem Fields Museum in Chicago einst Seerosen aus Gips nachgegossen haben, wie ein Film aus den 50er Jahren zeigt. In dem sie kleine Vögelchen ausgeweidet, mit Seifenlauge abwaschen und mit Holzwolle ausstopfen, bis sie fast wieder auferstanden sind von den Toten.
Carl Akeley, der sich in den Gorilla verliebte, starb 1924 an der Ruhr bei einer Expedition in Afrika. Zuvor hatte er erreicht, dass im Kongo der erste Nationalpark Afrikas eingerichtet wurde. Seinem Aktivismus und seinen Dioramen ist es wohl zu verdanken, dass eine Reihe der Spezies, die er für das New Yorker Museum getötet hatte, heute noch existieren.
Die spektakulären Dioramen des New York Museum of Natural History gehören heute zu den beliebtesten Touristenattraktionen der Stadt. Sie sind in dem Ben-Stiller-Film „A Night in the Museum“ zu sehen, aus dem zu Beginn und am Ende der Ausstellung eine Szene gezeigt wird. Am Ende zersplittert das Glas zwischen Betrachter und Betrachtetem, und das still gestellte Leben kehrt in die Welt zurück.
„Diorama“,bis zum 21. Januar 2018 in der Schirn in Frankfurt
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