: In der Stadt der Rosen
Im Jungen Theater Göttingen hat an diesem Samstagabend das Stück „Barbara. Gegen das Vergessen“ Uraufführung: ein Abend zur Erinnerung an eine unwahrscheinliche Besucherin der Stadt in den mittleren Sechzigern

Von Jan Feddersen
Göttingen, die hübsche alte Akademikerstadt im südlichen Niedersachsen, hatte sich durch einen hartnäckigen Mann besonders intensiv in das Projekt deutsch-französische Aussöhnung einschreiben können. Hans-Gunther Klein, damals Leiter des Jungen Theaters der Stadt, sah und hörte bei einem Aufenthalt in Paris eine französische Sängerin, die junge Monique Serf, Künstlername Barbara.
Sie hatte noch keinen sehr großen Namen in ihrem Land, aber Klein, der Kulturarbeiter, der wie so viele seiner Generation die französischer Kultur als allererste Orientierung nahm, um mit der durch die braunen Jahre vergiftete deutsche Kultur aufzuräumen, wollte sie an sein Theater holen. Das misslang zunächst, ehe sich die Sängerin doch überreden ließ. Das war 1964, von heute aus gesehen eine ferne Zeit.
Für Barbara muss es, wie so viele vom Holocaust direkt betroffene Menschen in Europa, eine Überwindung gewesen sein – Deutschland, pah! Sie selbst, jüdische Französin, überlebte die Verfolgung durch das Vichy-Regime in Frankreich nur knapp. Warum also das Land, das ihr nach dem Leben trachtete, mit einem Besuch beehren? In Göttingen wollte sie nur einen Abend singen, aber am Ende wurden es, durch das Publikum mit mächtigem Beifall gefeiert, mehrere. Das Lied, das Barbara hierzulande berühmt machen sollte, erfand sie bei diesem Gastspiel: „Göttingen“. So fein französisch ausgesprochen: „Göt-ting-genn …“
Darin Zeilen der zarten Annäherungen an eine Stadt, die ihre Skepsis ernst nimmt – und sie wärmstens willkommen heißt. Am Ende trägt sie am Jungen Theater eine zunächst noch fragmentarische Fassung des Liedes vor: „Göttingen – lasst diese Zeit wiederkehren / und nie mehr Hass die Welt zerstören: / Es wohnen Menschen, die ich liebe, in Göttingen, in Göttingen.“ Und: Sie sei eine Stadt der Rosen – die Sängerin als Lyrikerin und Beobachterin ihrer nächsten Umwelt.
Der Rest ist Legende, Stadtgeschichte, Teil der guten Chronik Göttingen: Dort gab es voriges Jahr eine Ausstellung namens „Barbara 1964“ zu sehen. Und noch heute hört man das Lied, ruft man die Stadtverwaltung an (☎0551/40 00) und wird verbunden: in der Warteschleife dieses Lied – das ist wirklich ergreifend.
Und im Jungen Theater hat an diesem Samstagabend das Stück „Barbara. Gegen das Vergessen“ Uraufführung – eine Art Musical für, im besten Sinne, Bildungsbürgerliche. Unbedingt hingehen und anschauen: Es gibt Aufklärung aus der jüngeren Geschichte.
„Barbara. Gegen das Vergessen“. Premiere: Sa, 21. 10., 20 Uhr, Junges Theater Göttingen. Weitere Aufführungen: 24. + 28. 10., 10. + 11. 11. sowie 9., 14. + 30. 12.
Barbara (Monique Serf): „Es war einmal ein schwarzes Klavier. Unvollendete Memoiren“, Wallstein-Verlag 2017, 200 S.. 18,90 Euro
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen