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„Es gibt viel, was man Luther anhängen kann“

Buchpremiere in der Stadtbibliothek, 19 Uhr:Jakob Knab, Luther und die Deutschen, Donat, 304 S., 16,80 Euro

taz: Herr Donat, warum ist das Luther-Buch von Jakob Knab so wichtig?

Helmut Donat: Es ist das einzige Buch, dass sich die gesamte Luther-Rezeption in Deutschland von 1517 bis 2017 in dieser Form vornimmt.

Auf 304 Seiten?

Natürlich nicht in allen Verästelungen, das ist klar. Aber in ihren großen Linien sehr wohl, vom Anfang bis heute. Es fängt an mit dem Streit zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam. Die beiden, die sich früher geschätzt hatten, entzweien sich in der Frage des freien Willens: Erasmus hält nichts von Luthers Vorstellung, dass das Leben der Menschen durch Schicksal oder Gottes Willen bis ins letzte vorbestimmt ist, sondern glaubt eher daran, dass er sich frei entscheiden kann. Und der Bogen des Buchs reicht bis zum Reformationsjubiläum, in dem die EKD behauptet, Luther hätte die moderne Verfassungsgestalt des demokratischen Rechtsstaats vorweggenommen.

Ich vermute, zu Unrecht?

Es gibt viel, was man Luther anhängen kann. Aber dazu zählt sicher nicht, dass er die Menschenrechte oder eine moderne Verfassung vorweggenommen hätte. Das ist dummes Zeug. Luther und die Reformation haben den Holocaust nicht verhindert.

Werten Sie ihn als Vorläufer der Nazis?

Nein, das ginge wohl zu weit: Luther war ein Antisemit, und darauf haben sich die Nazis auch stark bezogen. Sein Judenhass ist allerdings stark religiös motiviert.

Das Buch fokussiert auf Luthers politischer Rezeption?

Das ist der Hauptstrang: Jakob Knab zeigt, wie der Protestantismus zur Nationalreligion geworden ist – mit dem Höhepunkt in Preußen, wo es zum berüchtigten Bündnis von Thron und Altar kommt.

Droht denn da eine Neuauflage?

Helmut Donat, 70, Publizist und Gründer und Leiter des Bremer Donat-Verlags.

Nein, ganz sicher nicht: Wir sind heute so säkularisiert, dass sich eine solche Verbindung nicht mehr behaupten könnte.

Bei der Diskussion, ob der Reformationstag Feiertag werden sollte, schien es aber wieder gut zu funktionieren?

Aus so einer Kooperation entsteht kein Krieg mehr: Die halte ich für ungefährlich. Auch war die Reformation zweifellos ein wichtiger historischer Einschnitt: Man braucht keine Theologie, um den Feiertag zu rechtfertigen – und wenn es einen Tag mehr gibt, an dem die Leute nicht arbeiten müssen, ist doch eigentlich gut. Interview Benno Schirrmeister

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