leserbrief des tages
:

Der Herrscher von Aburiria

betr. „Ishiguro? Für die Literatur das Beste“, taz vom 6. 10. 17

Sie loben die Entscheidung des Nobelpreiskomitees für den Schriftsteller Kazuo Ishiguro. Ich habe nichts von ihm gelesen; gratuliere ihm dennoch ganz herzlich. Ich bin aber nicht sicher, ob diese Entscheidung richtig war. Ich bin ein faszinierter Leser des Buchs „Herr der Krähen“ von Ngugi wa Thiong’o aus Kenia. Man kann sagen, dass es sich um einen afrikanischen Weltroman handelt. In diesem Buch über den fiktiven afrikanischen Staat Aburiria wimmelt es von fantastischen Einfällen, von Dämonen und Zauberern, von Geldscheinen, die an Bäumen wachsen, von Krankheiten, die sich in Sprachverlust äußern, von Plakatkriegen und prügelnden Frauen, die Staatskrisen auslösen. Das soll eine Satire auf größenwahnsinnige afrikanische Despoten sein. Dass aber heute der Präsident des mächtigsten Staates der Welt den Herrscher von Aburiria in den Schatten stellt, hätte Ngugi wa Thiong’o wohl nicht erwartet. Hartmut Neubauer, Köln