: Die Nordkurve schweigt
Im Machtkampf mit dem Präsidenten Kind verweigern die aktiven Fans von Hannover 96 ihrem Verein die Unterstützung. Jetzt gab es für die Mannschaft die erste Heimniederlage
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Von Christian Otto
Wie es sich für einen erfahrenen Manager und Sportdirektor gehört, hat Horst Heldt noch einmal ganz genau nachgerechnet. Mindestens acht Wochen lang wollen die Fans von Hannover 96 ihren Stimmungsboykott im Stadion noch fortsetzen. „In acht Wochen ist Weihnachten. Da gibt es keine Spiele mehr“, sagt Heldt.
Was lustig gemeint war, betrifft eine ernste Thematik. Hannover 96 ist nämlich jener Aufsteiger in die Fußball-Bundesliga, dessen sportlicher Erfolg von einem Streit mit einem Teil der eigenen Fans belastet bleibt. Den Ultras und Präsident Martin Kind will es nicht gelingen, zu einer konstruktiven Gesprächskultur zurückzukehren.
Dass Vereinsführung und aktive Fanszene vergeblich nach einem gemeinsamen Nenner suchen, ist auch im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt offensichtlich geworden. In der Nordkurve des Stadions, wo die besonders leidenschaftlichen Anhänger ihren Stammplatz haben, herrschte wieder einmal eine gespenstische Stille.
Die sogenannten „Ultras“ verweigern der eigenen Mannschaft weiterhin die Unterstützung. Sie schweigen statt zu singen, um ihrem Protest gegen den Führungsstil des Präsidenten Ausdruck zu verleihen. „Kind muss weg“ – diese unmissverständliche Botschaft ist seit Wochen auf Transparenten zu lesen. Der Präsident ist einem Teil der 96-Fans zu mächtig und zu eigenwillig geworden. Kind wiederum, der regelmäßig verbal beschimpft wird, stört sich an dem Niveau seiner Kritiker.
Der Stein des Anstoßes aus Sicht der Fans bleibt: Kind will Hannover 96 nach seinem Gusto modernisieren und hat dafür sämtliche Macht an sich gerissen. Nach mehr als 20 Jahren an der Spitze des Traditionsvereins nimmt er für sich in Anspruch, millionenschwere Investitionen und wegweisende Entscheidungen nicht mit grölenden Fans abstimmen zu müssen.
Aus Fan-Sicht ist es aber nicht zu ertragen, dass Kind als wichtigster Gesellschafter und Funktionär im Grunde keinerlei Dialog mehr mit einer Opposition führen muss. Warum hat Hannover 96 zuletzt kritischen Fans verweigert, in den Verein einzutreten? Nach welcher Methode ist der Wert der Markenrechte ermittelt worden, die vom Stammverein an ein von Kind gesteuertes Unternehmenskonstrukt übertragen worden sind? Es geht also nicht um die Bierpreise im Stadion oder die Frage, ob Stehplätze schöner als Sitzplätze sind. Es dreht sich ums Eingemachte und um äußerst komplexe Sachverhalte.
Die Chance, dass noch vor Weihnachten sinnvoll miteinander gesprochen wird, ist auf nahezu null gesunken. Einen Dialog hinter verschlossenen Türen, den prominente Vertreter des Vereins führen möchten, haben die kritischen Fans abgelehnt. Sie möchten lieber, dass ein von ihnen aufgestellter Fragenkatalog schriftlich beantwortet wird.
Darin wird fein säuberlich aufgelistet, zu welchen Themen Kind Stellung beziehen soll. „Ihr wollt Dialog? Beantwortet den Katalog“, „Ein paar Fragen ehrlich beantworten – eigentlich ein Kinderspiel“: Mit Botschaften wie diesen, die im Heimspiel gegen Frankfurt auf neue Transparente gemalt waren, wollen die Fans eine öffentliche Debatte erzwingen.
Kind dagegen lehnt es ab, die Schlichtung des Streits in großer Runde unter Einbeziehung der Medien zu versuchen. Die Fronten sind derzeit so verhärtet, dass keine Lösung in Sicht kommen will. Dass die Fans ihre Fragen nun selbst beantworten und dann öffentlich machen wollen, klingt wie eine Trotzreaktion.
Eines Tages, wenn der Blick für das Wesentliche wieder möglich sein sollte, könnten beide Seiten ihr Verhalten bedauern. Denn parallel zu dem Streit bemühen sich die Profis von Hannover 96, mit einer solide besetzten Mannschaft gut dazustehen. Das 1:2 gegen Frankfurt, erst Sekunden vor Spielende durch ein Tor von Ante Rebic besiegelt, war die erste Heimniederlage in dieser Saison und die zweite Pleite in Folge.
Rund 5.000 Fans von Eintracht Frankfurt dürften großen Spaß an ihrem Ausflug nach Hannover gehabt haben. Hannover 96 macht bis auf weiteres als Bundesligist Schlagzeilen, in dessen Stadion es erstaunlich leicht ist, mit ein wenig organisierter Fankultur die Stimmungshoheit zu erlangen. „Martin Kind, Du Sohn einer Hure“, sangen die Anhänger der Eintracht. Sie riefen voller Häme, was ihr schweigendes Pendant in der Nordkurve voller Ärger denkt.
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