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Archiv-Artikel

Der Veränderer

Wenn nötig, macht er sich Feinde. Die jucken ihn nicht, weil er gegen Feinde immun ist. Zuweilen gewinnt er Freunde. Es kann sein, dass er sie nicht bemerkt

VON NADJA KLINGER

„Ach!“, ruft Bodo Ramelow. „Da bin ich von den Socken!“ Sein Mitarbeiter steckt vom Vorzimmer den Kopf in die Tür. Von den Socken? Das kann nicht sein. Ramelow hat alles im Griff: seine alte Partei, die neue, Gysi und Lafontaine, den Wahlkampf, die Presse. Er läuft herum wie einer, der gedopt ist. Einer, der gewonnen hat, ehe die Entscheidung fällt. Der sogar die Prozente im Griff hat. „Jemand aus Yokohama will ein Autogramm von mir!“, ruft er.

Bodo Ramelow ist der Wahlkampfleiter der Linkspartei. Er hat ein Büro im Thüringer Landtag, wo er Fan-Mails aus Japan bejubelt und die PDS-Fraktion anführt. Er hat auch ein Büro im Berliner Karl-Liebknecht-Haus. Nicht alle Genossen waren begeistert, als im Frühjahr ausgerechnet er dort einzog. „Ich habe einen schlechten Ruf. Es heißt, ich sei ein harter Knochen und mit mir sei nicht gut Kirschen essen“, hat er zur Begrüßung gesagt. „Ich gebe mir keine Mühe, dem was entgegenzusetzen.“

Das dritte Büro ist sein Auto. Während es durchs Land gefahren wird, gibt Ramelow auf dem Beifahrersitz Telefoninterviews. Es geht um Wirtschaftsstandorte, Langzeitarbeitslose, Mindestlöhne, Afghanistan, Hartz IV. Er redet, als wäre es ein Kinderspiel, die Welt zu verbessern. Sein Tonfall ist leicht aggressiv. Wie bei einem Kind, das weiß, dass man ihm nicht glaubt.

Im Wahlkreis 195 Gera – Jena – Saale-Holzland-Kreis hängt er an den Laternen. Er ist Direktkandidat. Quer über seine Fotos hat jemand „SED“ und „Stasi“ geschrieben. Bodo Ramelow kommt aus Niedersachsen. Er lebt seit 1990 in Thüringen. Die Kritzeleien amüsieren ihn. Eigentlich. Nun zeigt sich, dass „SED“ und „Stasi“ Kürzel dafür sind, dass der Mensch vor allem engstirnig ist.

Drei Stunden hat sich Ramelow für ein Fernsehteam Zeit genommen. Ein paar Sekunden des langen Gesprächs wurden gesendet, der Rest passte der Redaktion nicht in den Kram. Wie Spürhunde streifen Journalisten über den Parteitag, durch den Landtag, um die Geschäftsstellen. Sie scheren sich nicht wirklich um die Linkspartei. Sie suchen nach IM und alten Lasten.

Wenn den Genossen Fragen komisch vorkommen, sollen sie einfach schweigen und auf den Pressesprecher verweisen. Das hat der Wahlkampfchef angewiesen. „Das ist unsre Firewall gegen all die, die nicht an Sachfragen interessiert sind“, sagt er.

Nahezu überall, wo Bodo Ramelow aufkreuzt, läuft etwas verkehrt. Das liegt daran, dass der gelernte Kaufmann und gewiefte Gewerkschafter die Realität stets in einem ganz bestimmten Zustand haben will: Sie soll veränderbar sein. Verheißungsvoll. Das ist sie selten.

Als er in den Osten kam, um hier eine starke Gewerkschaft aufzubauen, mussten die Leute in die Lage versetzt werden, ihre Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Als er fast zehn Jahre später zur PDS-Landtagsfraktion stieß, mussten die Genossen in die Lage versetzt werden, überhaupt Politik zu machen. Nachdem in der DDR kaum jemand etwas zu sagen gehabt hatte, durften bei der PDS im Thüringer Parlament sogar die Mitarbeiter aus den Hinterzimmern abstimmen. Es gab weder eine richtige Fraktionsführung noch Disziplin. Abgeordnete verspäteten sich, fehlten. Der Rest meckerte, aber heimlich.

Ramelow schweigt nicht. Wenn nötig, zerstört er Harmonie. Wenn nötig, macht er sich Feinde. Die jucken ihn nicht, weil er gegen Feinde längst immun ist. Zuweilen gewinnt er Freunde. Es kann sein, dass er sie nicht bemerkt, weil sie genauso harte Knochen sind wie er.

Als er die Landtagsfraktion auf Vordermann gebracht hatte, lief in der ganzen Partei etwas verkehrt. Es war 2002. Die PDS flog aus dem Bundestag, ließ sich dazu hinreißen, den Reformern die Schuld zu geben, und war schwach genug, sie dann beim Geraer Parteitag quasi auszugrenzen. Die Partei drohte zu einer bornierten, ostdeutschen Gemeinschaft zu werden. Der Erfurter Fraktionschef konnte das nicht aushalten. Er nahm sich vor, „die Ausstrahlung der gesamten PDS zu verändern“. Kurzerhand. Der Plan hatte Ramelow-Format. Er avisierte den „Neustart aus Thüringen“.

Mit 26,1 Prozent zog die PDS 2004 wieder in den Landtag ein. Für 2006 hatte Bodo Ramelow geplant, mit fünf Prozent plus fünf Direktmandaten wieder in den Bundestag zu ziehen. „Aus eigener Kraft“, betont er heute. Er hätte es gern ohne die WASG geschafft. Quasi ungedopt. Die WASG steht für das Leben, aus dem er kommt. Sie steht für damals, als er selbst noch nicht ahnte, dass er einmal ernsthaft der Bundesrepublik das Arbeitsgesetzbuch und die Polytechnischen Oberschulen der DDR ans Herz legen würde.

Er war auch kein Fan von Oskar Lafontaine. Seit Lafontaine nun da ist, sagt Ramelow in Interviews, der Mann habe ihn angenehm überrascht. Auf dem Erfurter Anger hat er sich kürzlich zwischen den Linkspartei-Star und einen Reporter geworfen. Lafontaine und er fühlten sich von Kameras und Mikrofonen bedroht. Sie flohen auf den Pfarrhof der Lorenzkirche. Am nächsten Tag war der Wahlkampfchef als Raufbold in der Zeitung abgebildet. Kurz darauf hat er im Fernsehen einen Bericht über ein Hotel in der Türkei gesehen. Irgendwas war passiert, jedenfalls waren viele Mikrofone im Bild. Plötzlich kam eines dem Hotelbesitzer so nah, als wollte es ihn umlegen. Ramelow sah: Es gehörte dem Reporter vom Anger. Er nennt die Medien „Konzerne“. Er meint nicht alle Medien, aber er schließt auch keine ausdrücklich aus. Es ist Wahlkampf. Wer mit scharfer Munition umgeht, schließt Kollateralschäden nicht aus.

Ende August beginnt ein Wahlkampftag im Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Nach aufwändiger Sanierung wird das Haus eingeweiht, in dem vor drei Jahren ein Schüler Amok lief. Der Bundeskanzler reist an, die Schulleiterin ist ganz in Weiß, Ramelow trägt eine Friedenstaube am hellen Jackett. Auch am Gutenberg lief einiges verkehrt: Erfurt hat nicht wirklich darüber nachgedacht, was geschehen ist.

Auf einer Pressekonferenz kurz nach dem Amoklauf hat Ramelow Waffen und scharfe Munition ausgepackt. Er wollte beweisen, wie leicht jedermann da rankommen kann. Während die Stadt die lückenhaften Untersuchungen zum Geschehen abschloss, hat er immer wieder versucht, Probleme zur Sprache zu bringen. In persönlichen Gesprächen, im Landtag, in der Presse. Er wollte an den Realitäten rütteln. Er hatte die Staatsanwaltschaft am Hals.

Im Wahlkampf sitzt er in Jena vor Betriebsräten gelassen auf dem Podium. Ein FDP-Mann sagt, seine Partei sei ein Freund der Gewerkschaften. Im Publikum gluckst es. Die SPD nimmt kaum das Wort Arbeit in den Mund, da ruft es aus dem Saal: „Aufhören!“ Der CDU-Mann rät qualifizierten Arbeitern zu kündigen, wenn es ihnen im Unternehmen nicht passt. Das sei nämlich das Schlimmste, was sie dem Unternehmen antun könnten. Im Saal sind sie verbittert. Ramelow rührt sich nicht. Er wartet, bis er dran ist, dann spricht er die Sprache der Leute. „Differenzierte Tarifverträge … Lohndumping … Öffnungsklauseln … Härtefallkommissionen … mangelnde Mitbestimmung“, das ist das Deutsch, das immer mehr Deutsche gut verstehen. „Sie alle werden mit Ihren Arbeitsplätzen erpresst“, sagt Bodo Ramelow zu den Betriebsräten. Kaum jemand im Saal ist so frei zu kämpfen wie er. Also wird er das Kind schaukeln. Wenn sie ihn wählen.

In einer ollen Baracke im Zentrum von Jena ist die PDS-Geschäftsstelle. Dort warten Lokalredakteure auf Ramelow. Sie wissen: In den Umfragen sinken bei der Linkspartei die Prozente. Der Wahlkampfchef gießt Sahne in tiefschwarzen Kaffee. „Ich hab mich nie besoffen machen lassen“, sagt er. Sie schreiben das auf. Er will ein Direktmandat gewinnen. Er sagt, sie seien hier „fünf tolle Kandidaten“. Er hat wohl das Gefühl, dass die anderen leicht nervös werden, wenn er anfängt zu reden. „Wahlkampf kann man nicht lernen“, sagt Ramelow, „man muss überzeugt sein, darf nicht zweifeln.“ Er guckt irgendwie verliebt. Er hält das Programm der Linkspartei für unwiderstehlich.

Bevor Bodo Ramelow an diesem Wahlkampftag nach Hause kann, wo seine Frau für den Umzug nach Berlin die Kisten packt, steht noch Apolda auf dem Plan. In der Stadt ist kein Mensch zu sehen, es plätschern Brunnen, der Spätsommer taucht die Gassen in Rot. Am Schloss, wo Ramelow gleich auftreten wird, lungern kahl geschorene Jungs. Auf ihren dunklen T-Shirts steht, von welcher Kameradschaft sie kommen. Sie kommen von allen Seiten. Sie werden immer mehr.

Ein Genosse aus Apolda wählt vorsichtshalber die Nummer der Polizei. Eine Genossin hatte neulich Nazi-Musik im Briefkasten, bei einer anderen kam die Nazi-Zeitung. Drei Polizisten kommen mit großen Schritten über den Schlosshof auf die Jungen zu. Man kennt sich. Die Welt ist ein Dorf und trotzdem unergründlich. Die Polizisten gehen in die eine Richtung, die Jungen in die andere davon.

Dann wird oben im Schloss erleichtert das Fenster geschlossen. Der Raum füllt sich mit älteren Herrschaften, sie tröpfeln herein, setzten sich schön nach vorn, es gibt genug Stühle. Bis sich ein Schwall durch die Tür drängt. Augenblicklich haben die Glatzköpfe alle freien Plätze eingenommen. Setzen die Sonnenbrillen auf und fotografieren die Anwesenden mit Digitalkameras. Der Mitarbeiter aus dem Vorzimmer, der Bodo Ramelow den ganzen Tag begleitet hat, hält Abstand. Der Chef steht stumm und arbeitet an einem Plan. An der Realität. Daran, die Sache auch im Griff zu haben. Die Welt ist eine unergründliche Bewährungsprobe.

Es ist totenstill, als er zu reden beginnt. Das ältere Publikum sitzt steif. Ramelow spricht die Glatzköpfe an. „Sie wollen uns Angst machen“, sagt er. Er spricht von der Synagoge in Erfurt, auf die kürzlich ein Anschlag verübt worden ist, vom Überfall auf die Sowjetunion, von den Öfen in Buchenwald und Auschwitz. Er rast durch Zeiten und Sätze, sein Motor dröhnt. „Was hat das mit Ihrem Wahlkampf zu tun?“, motzen die Jungen. Ein paar ältere Herrschaften werfen Blicke. Eingeschüchtert sitzen sie zwischen Bodo Ramelow und den finsteren hinteren Reihen und warten, was passiert. Von hinten ruft jemand „Volk ohne Raum!“, da macht der vorn das nächste Fass auf. Es passiert nichts. Außer: Plötzlich geht die Angst. Sie hat sich hier nicht wohlgefühlt. Es war zu viel Gegenwehr da. Zu viel Ramelow.