piwik no script img

Türken gründen neue Uni

Tausende Akademiker*innen verloren nach dem Putsch ihren Job in der Türkei. Viele von ihnen leben inzwischen in Deutschland. Jetzt lehren sie an einer virtuellen Hochschule

Von Beyza Kural, Berlin

5.717 Akademiker*innen sind seit September 2016 per Notstandsdekret aus dem öffentlichen Dienst in der Türkei entlassen worden. 380 von ihnen hatten den Aufruf der „Academics for Peace“ unterschrieben. Berlin ist ein Ort, an dem sich viele der suspendierten Akademiker*innen aus der Türkei in einer „Off-Universität“, einer Exilgruppe von türkischen Akademiker*innen, treffen und organisieren.

Tuba İnal Çekiç ist eine von ihnen. Derzeit hat sie eine Teilzeitstelle an der Hamburger Hafencity-Universität. Sie ist eine der Gründer*innen der Off-Universität. Eine Gruppe der Academics for Peace, die derzeit in Deutschland lebt, hatte gemeinsam mit deutschen Wissenschaftler*innen im Juni 2016 den Off-University-Verein gegründet.

Die aus den Vorträgen bestehenden Seminare sind kostenlos zugänglich. Interessierte können an Onlinediskussionen, die an festgelegten Terminen stattfinden, teilnehmen. Die Exil-Universität will ein ganzheitliches Bildungsprogramm bieten, das zum Erwerb eines akademischen Abschlusses führt.

Die Universität hat noch keinen physischen Ort – mit dem Namen wollten die Gründer*innen „die Idee eines alternativen akademischen Betriebes“ in den Vordergrund rücken, sagt İnal Çekiç.

Die Entlassung der Akademiker*innen lastet schwer auf den Schultern der an den türkischen Instituten übriggebliebenen Akademiker*innen. „Viele Menschen wurden vertrieben, ein Teil ist in ihrem eigenen Land gefangen. Was sollen wir machen? Wir haben die Technik, im Internet gibt es keine Grenzen. Auch wenn die Menschen physisch nicht beieinander sind, so können sie sich erreichen und miteinander reden“, sagt İnal Çekiç.

Mittelfristiges Ziel der Off-Universität ist das Angebot von mehrwöchigen Bildungsprogrammen. Geplant sind interdisziplänere Studiengänge, von denen ein Teil zum Sommersemester beginnen soll.

Auch wenn sich das Programm aufgrund der Dozierenden, die mehrheitlich Sozialwissenschaftler*innen sind, wohl auf diese Fachbereiche konzentrieren wird, wollen die Gründer*innen weltweit Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen erreichen, die in antidemokratischen Staaten durch die Regierung unterdrückt werden.

Die Universität will zwar keine Studiengebühren erheben, aber den Dozierenden ein Einkommen ermöglichen. Sowohl das technische Equipment als auch das Lehrpersonal sollen durch Crowdfunding finanziert werden.

„Wir sind Wissenschaftler und tun das, was wir kennen“, so Çekiç. Mit ihren flachen Hierarchien wird die Universität für viele Akademiker*innen, die hier in Deutschland mit einem Stipendium oder einer Teilzeitanstellung arbeiten, eine Alternative sein. Langfristiges Ziel ist es, sich zu einer Hochschule zu entwickeln, die Abschlüsse verleiht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen