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Die Neuordnung der Dinge

Vier Künstlerinnen sind für den Preis der Nationalgalerie nominiert und stellen im Hamburger Bahnhof aus. Die Begegnung mit den Werken von Jumana Manna, Sol Calero, Iman Issa und Agnieszja Polskavon ist bereichernd

Sol Calero, „Amazonas Shopping Center, 2017“ Foto: Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin/Trevor Good/Courtesy the artist, Laura Bartlett Gallery, London

Von Sophie Jung

Als der Schriftsteller Ingo Schulze vor Jahren den Thüringer Literaturpreis zurückwies, richtete sich seine Kritik an den Energieriesen EON, der den Preis finanzierte. „Hätte er EON-Literaturpreis geheißen, wäre das eine klare Sache gewesen“, kommentierte Schulze die Aktion kürzlich in der FAS. Der Preis der Nationalgalerie sollte Schulze zufolge besser BMW-Award heißen. Denn der Autobauer ist langjähriger Sponsor dieser Auszeichnung für in Deutschland lebende Künstler unter 40 Jahren.

Doch meidet man eine offenkundige Verbindung von Kunst, Museumspolitik und Firmenmarketing im Titel, obwohl ein solches Joint Venture typisch ist für Kulturpreise. Stattdessen glitzert beständig das runde BMW-Logo in den Winkeln jedes Medienauftritts der Auszeichnung. Ingo Schulze würde die Nase rümpfen.

Im Hamburger Bahnhof werden die vier Nominierten für den Preis der Nationalgalerie vorgestellt. Das ist die Vorstufe zur großen Einzelausstellung, mit der die Preisträger alle zwei Jahre ausgezeichnet werden. Anne Imhof war 2015 die Gewinnerin. Am 20. Oktober wird die Jury, unter anderem mit dem Direktor der Nationalgalerie Udo Kittelmann und Hou Hanru vom MAXXI in Rom, die diesjährige Gewinnerin pompös verkünden. Die Gewinnerin? Ja, denn zum ersten Mal seit Bestehen der Auszeichnung, seit 2000, sind mit Jumana Manna, Sol Calero, Iman Issa und Agnieszja Polska, ausschließlich Frauen nominiert.

Auch wenn sich die Form des Preises kritisieren lässt, die Nominierten-Ausstellung selbst ist gut. So heterogen die Positionen der vier Künstlerinnen sind, lichtet die Schau doch einen gemeinsamen Moment ab: Wir sind im Postkolonialismus angekommen. In den allesamt nachdenklichen Arbeiten dieser Künstlerinnen geht es um eine Neuordnung der Dinge, die eigentlich festzustehen scheinen, um eine Hinterfragung der Identität, um Verantwortung für die Welt oder um Geografien der Peripherie.

Grabung und Erinnerung

Jumana Manna, Jahrgang 1987, etwa inszeniert eine unfertige Landschaft aus Baugerüst, Plastikstühlen und überdimensionierten Hohlformen, die menschliche Gliedmaßen und Gelenke andeuten. In diese Kulisse einer Grabungsstätte projiziert sie den Film „A Magical Substance Flows into Me“. Darin forscht sie dem verstorbenen deutsch-jüdischen Musik­ethnologen Robert Lachmann nach. Aufkommende und erstarrte Erinnerungen fließen in dem Film mit der Gegenwart zusammen.

Iman Issas Reihe „Heritage Studies“ zeigt perfekt gearbeitete minimalistische Skulpturen. Die 1979 in Kairo geborene Künstlerin hat ihre abstrakten, geometrischen Figuren um eine Werkbeschriftung erweitert. „HS 18. Kachel mit dem Heiligen Schrein in Vogelperspektive. (…), gefunden in einem Palast aus dem 12. Jahrhundert“, heißt es etwa zu einer Skulptur mit dem Code HS18. Jedoch zeigt diese lediglich einen schlanken Messingbogen. Iman Issas eigentliche künstlerische Arbeit ist der gestalterische Prozess zwischen einem originalen antiken Kulturgut, das in der Beschriftung angedeutet wird, und der abstrakten Skulptur in der Ausstellung: Sie entwickelt „mentale Drucke“ des Referenzobjekts.

„Kommst du von einem exotischen Ort, fühlst du dich irgendwann auch exotisch“, sagt die 1982 geborene Venezuelanerin Sol Calero im Interview, das vor ihrer Installation ausgestrahlt wird. Humorvoll und kritisch verarbeitet die Künstlerin diesen Selbstexotismus. Unter grellem Neonlicht inszeniert sie die begehbare Kopie eines Ausschnitts lateinamerikanischen Großstadtlebens: Friseursalon, Tanzschule, Wechselstube, Internetcafé, Kino oder Nagelstudio reiht sie aneinander und lässt dabei die banalen Gegenstände ihrer Installation von den inneren Ausflüchten und der Not eines prekären Lebens erzählen.

Die kleine Sonne zittert

Versunken und entrückt wirken die beiden Animationsfilme von Agnieszka Polska zunächst. Dennoch findet sich in ihnen ein politischer Kommentar auf unsere jetzige Welt. Gemeinsam bilden sie die Arbeit „What the Sun Has Seen“. Die Hauptfigur ist eine „kleine Sonne“. Das kindliche Gestirn, dem die Künstlerin mit großen zitternden Augen und Stupsnase die Züge eines Babygesichts gab, blickt darin hilflos auf die Erde, absurde Se­quenzen drängen sich kurz ins Bild und die Kleine sinniert bedeutungsschwanger: „Kennst du die Trauer im Blick von Alexander dem Großen, wenn er über die neu eroberten Gebiete schaut“.

Der Preis der Nationalgalerie ist einer der wichtigsten in Deutschland. Schon die Liste der Nominierten in der Geschichte des Preises – darunter Olafur Eliasson, Monica Bonvicini, Tino Sehgal oder Cyprien Gaillard – zeigt, dass große Namen mit der Auszeichnung verbunden sind. Manchmal waren die Namen bereits groß, ehe sie mit diesem Preis geehrt wurden. Der Preis als Förderinstrument für junge KünstlerInnen lief Gefahr, zum hohlen Spektatel zu werden.

Doch dieses Jahr ist es anders: Alle vier Nominierten haben sich bereits mit einer eigenen Sprache in der Kunstwelt positioniert, aber noch immer fehlt ihnen eine stärkere Präsenz. Da hat die Vorjury, unter anderem mit Schauspielerin Meret Becker oder Kuratorin Natasha Ginwala, wohl gewissenhaft gearbeitet.

Preis der Nationalgalerie2017,

Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart Berlin, bis 14. Januar 2018

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