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berliner szenenRein platonisch U6 am Mehringdamm

Immer steht da genau ein attraktives Mädchen bei denen mit dem Wachtturm im U-Bahn-Zwischengeschoss. Zwei unscheinbare Ältere, ein Mädchen. Sie fischen nach Gläubigen. Dabei ist der Impuls, den man hat: sie da her­auszuholen. Mit Sex. Das ist der Richard-Gere-in-Pretty-Woman-Komplex. Nur ohne Geld und ohne Heiraten. Ein sinnloses Unterfangen, natürlich.

„I am Random People“ steht auf dem Button an ihrem Revers. Für die Englischsprachigen unter uns. Dazu trägt sie vaginaförmige Ohrringe. Ich nähere mich vorsichtig, frage nach der Uhrzeit. Sie zeigt mir ihre Uhr. Sie zeigt nur geringe sexuelle Energie. Immerhin tropft sie. Die Uhr jetzt. Sonderbewetterung heißt das. Und bevor es zu einem Gespräch über Gott und die Welt kommen kann, über leuchtende Pfade des rechten Glaubens, gehe ich schnell weiter.

Denn es ist doch so: Niemand lernt jemanden kennen. Man lernt niemanden kennen, wenn man ins Theater geht. Wenn man sein Auto an der Tankstelle betankt. Wenn man auf eine Lesung geht. In eine Vernissage. Niemand lernt jemanden auf einem Konzert kennen, auf einer Party, im Café. Niemand lernt jemanden auf einem Parkplatz kennen, am Spielplatz, im Sand, am Strand. Niemand lernt jemanden im Museum kennen, auf einer Pressekonferenz, im Stadion oder auch nur im Bus dorthin.

Niemand lernt jemanden auf einer Sonnenbank kennen, in der Umkleidekabine, auf dem Gehweg, im Kiosk, in der Christmette, im Supermarkt, im Kaufhaus. Niemand lernt jemanden im Netz kennen, auf der Uhr, im Weltall. Niemand lernt jemanden auf dem Laufband kennen, in der Sauna, im Tunnel, im Musterprozess, auf der Anklagebank, auf dem Heiligen Stuhl, in der Zwischenwelt, im Paralleluniversum, in der Nacht­apotheke, im Betrieb, auf der Bank, in der Schublade.

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René Hamann

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