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Dystopie auf dem Spielplatz

Theater Johan Simons nimmt Abschied von der Ruhrtriennale. Seine Adaption von Don DeLillos Roman „Cosmopolis“ setzt auf musikalisch überhöhte Kapitalismuskritik

von Regine Müller

Mit seiner letzten Regie für die Ruhrtriennale hätte Johan Simons ein opulentes Ausrufezeichen setzen können. Vielleicht mit einer Dramatisierung von Bachs h-Moll-Messe. Denn Simons, der drei Jahre lang Intendant der Ruhrtriennale war, hat in seinen Inszenierungen das Musiktheater favorisiert, hat zur Eröffnung Pasolinis „Accatone“ mit Bach-Kantaten gepaart und Wagners „Rheingold“ als radikale Kapitalismuskritik gelesen.

Nun aber schließt sich der Kreis mit einer nachdenklich sperrigen, jeder Opulenz abholden und extrem reduzierten Adaption von Don DeLillos visionärem Roman „Cosmo­po­lis“. Noch einmal also musikalisch überhöhte Kapitalismuskritik. Diesmal an der schockgefrorenen, entkörperlichten Cyberspielart des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, nämlich der Welt eines intellektuell und moralisch entgrenzten Börsenspekulanten.

DeLillo nahm mit seinem 2003 geschriebenen, rabenschwarzen Roman, der im New York des Jahres 2000 spielt, den Lehman-Crash von 2008 und das folgende Beben der Finanzwelt in verblüffender Weise vorweg. Simons bleibt seiner Dramaturgie also treu und serviert zum Abschluss seiner Intendanz kein Fest, sondern ein pures Stück Diskurstheater. Das ist sympathisch in seiner un­eit­len Konzentration und künstlerisch von beeindruckender Konsequenz. So straff folgte kaum ein Triennale-Intendant vor ihm einem roten Faden. Und so politisch war die Ruhrtriennale noch nie.

In der Jahrhunderthalle mit ihrer tückischen Weite hat Bettina Pommer keine blinkenden Kulissen des New Yorker Börsendistrikts aufgebaut, sondern irritierenderweise einen Kinderspielplatz: Drei Wippe-Pferde an der rechten Seite, ein Klettergerüst – auf dem der als „electro boy“ apostrophierte Live-Electronics-Spezialist Benjamin Dousselaere installiert ist – eine riesiges Gerät zwischen Wippe und Schaukel von Kirmes-Format und einen Sandkasten. In dem hockt im bunten Hemd mit schlotternder Jogginghose Bert Luppes, der Benno Levin, den späteren Mörder des Börsenspekulanten spielt, und wirft zornig mit Sand. Pierre Bokma als Eric Packer trägt zu kurze Hosen, das Sakko ist zu groß, die Krawatte zu kurz und seine quäkende Stimme zu hoch. Zwei nölende Kinder ohne jede Impulskontrolle.

Auch Elsie de Brauw tritt als Packers Ehefrau Elise im blauen Mädchenkleid mit großer Schleife auf der Brust auf, aber sie spielt auch Packers „Oberste Theoretikerin“, seine Kunsthändlerin und seine Finanzchefin, deren identisch geschnittene Kleidchen in anderen Farben sie bei den fließenden Rollenwechseln gar nicht erst anzieht, sondern nur in die Ärmel schlüpft. Mandela Wee Wee komplettiert das Ensemble als Packers Sicherheitschef, Arzt und Friseur.

Maximale Verfremdungseffekte machen aus dem Roman ein hochprozentiges Diskurstheater

Die weiße Stretchlimousine, in der sich Packer im Roman durch den Manhattaner Dauerstau zu einem sentimentalen Besuch beim Friseur aus seiner Kindheit quält, kommt in Bochum nur als Kinderspielzeug vor. Unsichtbar bleiben auch die Barrikaden und gewaltsamen Proteste der Globalisierungsgegner, die im Roman die Fahrt blockieren. Im Roman tätigt der meditierende Börsenspekulant Packer, der sich im eigenen Fahrstuhl mit Satie berieseln lässt, in der Limousine seine Geschäfte, spricht mit Ehefrau, Kunsthändlerin und Finanzchefin. In der Bochumer Jahrhunderthalle turnen schwer erziehbare Kinder zwischen ihren Spielgeräten hin und her.

Packers Spekulationen in den japanischen Yen, peinigende Prostata-Untersuchungen, steife Beziehungsdiskussionen mit der Ehefrau, Sex mit der Kunsthändlerin: Von all dem wird hier nur geredet, Handlungen werden markiert, selbst der finale Schuss, mit dem der in einem Rattenloch hausende Levin seinen ehemaligen Chef schließlich erledigt, löst sich nicht aus der Spielzeugpistole, sondern aus Dousse­laeres Soundmaschine. Maximale Verfremdungseffekte, die aus Koen Tachelets Romandestillat ein hochprozentiges Diskurstheater machen, das nochmals entpsychologisiert wird durch die sprachliche Distanz, die Simons’ Nichtmuttersprachler mitbringen.

Diese formale Künstlichkeit, gepaart mit der Infantilisierung der Figuren, könnte sehr dröge sein, und tatsächlich ziehen sich die Diskussionen um Cyberkapital, Datenströme, Gewaltzusammenhänge und den Verlust der Körperlichkeit stellenweise auch. Aber Simons’ grandiose Schauspieler verstehen es, der artifiziellen, verspielten Leichtigkeit eine enorme Eloquenz zu geben, auch eine körperliche Virtuosität, die den schneidend intelligenten Betrachtungen dann doch wieder eine erstaunliche Dringlichkeit gibt. Eric Sleichim unterlegt das Geschehen mit seinem famosen Saxofonquartett „Blindman“ mit überwiegend sanften, fast sakralen Klängen, die Bach, Mozart, Satie und Varèse verarbeiten. So wird es doch ein starkes Finale.

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