LeserInnenbriefe
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30.000.000 andere Stimmen

betr.: „Kaum etwas dringt durch“, taz vom 18. 9. 17

Ihr Bericht aus dem Land Venezuela des ehemaligen Rechtsanwalts und heutigen freien Journalisten Oscar Torres verwundert mich. Sicherlich gibt es solche Stimmen in Venezuela. Und 30.000.000 andere Stimmen. Es stimmt, die Lage in Venezuela ist nach mitteleuropäischem Maßstab schlecht. Ich selbst durchlebte die Folgen eines Militär- und eines Wirtschaftsputsches in Venezuela. Und so wie es Kritiker der Regierung Maduros gibt, sind drei der führenden Oppositionspolitiker wegen rechtsstaatlichen Vergehens in einem demokratischen Staat im Gefängnis. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch einen Chavista neben den abgedruckten Esquálido zu Wort kommen ließen. Denn Meinungen und gute Berichte über die Realität in Venezuela gibt es viele und auch profunde: in Venezuela selbst, wo es zahllose freie Medien gibt und Veröffentlichungen per Videobotschaft üblich sind, und auch über das Portal Amerika 21 in deutscher Sprache. Der Großteil der Medienlandschaft Venezuelas liegt in der Hand von privaten Medienkonzernen, die an der Abdankung Maduros interessiert sind. Das Bild dieser geht vermehrt über den Atlantik und findet seine Rezeption in den hiesigen Medien. Venezuela ist aber ausgesprochen vielfältig. LOTHAR BERGMANN, Stuttgart

Das stößt mir unangenehm auf

betr.: „Manipulative Macht“, „Diese Menschen suchen den Tod“, taz vom 5. 9. und 13. 9. 17

Der Gebrauch von geschlechterbetonter Sprache stößt mir unangenehm auf, wenn es um 95 Prozent und mehr männliche Täter geht, wie es bei Vergewaltigung und Anschlägen der Fall ist.

Bei „Manipulative Macht“, in dem es um jahrelangen sexuellen Missbrauch durch den Vater geht, wird ständig von „Täter*innen gesprochen. Warum? Im zweiten Beispiel werden die Attentäter mehrmals „Jugendliche“ statt junge Männer genannt. Aber ihre fanatische Ideologisierung hat eben sehr viel mit dem Selbstbild von Männlichkeit zu tun, dem ein ungeheuerlicher Zerstörungswille und Lebenshass innewohnt. Außerdem haben die Begriffe „radikal“, „sich radikalisieren“ und Radikalisierung für mich den positiven Klang des „an die Wurzel des Übels gehen“, den ich mit rechten Fanatikern ungern teile. MARIA SCHMIDT, Berlin

Unpolitischer Genderfeminismus

betr.: „Zwischen den Alphatieren“, taz vom 18. 9. 17

„Feminismus“ war für mich (geboren 1949) ein politischer Begriff. Doch Ihr Artikel ist für mich das Unpolitischste, das ich in der taz zur Wahl gelesen habe. Kennzeichnet solche Genderisierung die in den 60er Jahren Geborenen? Ist Ihnen nicht klar, dass Merkel auch Schäuble impliziert? Was ist da mit den leidenden grie­chi­schen Frauen? Was mit unseren armutsbedrohten Pflegerinnen, Verkäuferinnen und, und, und? Das sind auch Frauen. Passen die nicht mehr in Ihre Spielart von Feminismus? Na ja: Schwarzer hat ja auch für Bild geworben. Auf diesen Genderfeminismus können wir verzichten. BERND MÜNK, Freiburg

Keine Verbesserung

betr.: „Denn Sie wissen nicht, was sie tun“, taz vom 16./17. 9. 17

Ich stimme Frau Gaus zu, dass es ein verheerendes Signal der Parteien ist, das Thema Verlängerung der Wahlperiode für den Bundestag jetzt anzusprechen. Ich stimme nicht zu, dass es dafür gute Gründe gibt. Die meisten der Abgeordneten werden wiedergewählt und kennen sich mit Bundestagspolitik aus. In den Ländern, in denen die Wahlperiode auf fünf Jahre verlängert wurde, lässt sich eine Verbesserung der Parlamentsarbeit nicht erkennen. Die Verlängerung der Wahlperiode beschneidet unser wichtigstes demokratisches Recht, unser Wahlrecht. Konsequenterweise sollte auch in den Ländern die Wahlperiode wieder auf vier Jahre verkürzt werden. Ich stimme Frau Gaus auch nicht zu, dass in diesem Zusammenhang über Bürgerentscheide oder eine verkürzte Amtszeit für die Kanzlerin oder den Kanzler gesprochen werden sollte. Volksentscheide auf Bundesebene sind eine typische neoliberale Idee. Sie würden den Einfluss finanzstarker Interessengruppen auf politische Entscheidungen unzulässig erhöhen. WOLFGANG KUSCH, Wehrheim

Barmherzigkeit und Gerechtigkeit

betr.: „Der Nerv der Zeit“, taz vom 19. 9. 17

Was haben ideologische Indoktrination, wütende Rachefeldzüge, Hingabe an den Hass und Waterboarding mit dem Alten Testament zu tun? Maik Söhler bleibt einen Beleg für seine Behauptung schuldig, Rachegesinnung sei „alttestamentlich grundiert“. In Wirklichkeit handelt es sich bei der Redensart von der angeblichen alttestamentlichen Rache um ein ignorantes antijüdisches Klischee. Es ist christlichen Ursprungs. Die Kirche wollte mit der Diffamierung des Alten Testaments den jüdischen Glauben abwerten und die eigene neutestamentliche Botschaft davon positiv absetzen. Richtig dagegen ist, dass das Alte Testament Rache ausdrücklich verbietet. Und mit dem berühmten Ausspruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wird nicht ein brutales „Wie du mir, so ich dir“-Rachegemetzel legalisiert, sondern dem Gedanken an eine versöhnende Reparationszahlung für jede zugefügte Wunde Raum gegeben. Schließlich endet der Abschnitt mit dem beispielgebenden Satz: „Und wenn er seinem Sklaven oder seiner Sklavin einen Zahn ausschlägt, so soll er sie für den Zahn freilassen.“ Eine für die römische und andere antike Gesellschaften unvorstellbare Bestimmung. Gegen alle Klischees gilt: Die jüdische Religion und das Alte Testament verkünden Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. KLAUS-PETER LEHMANN, Augsburg