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Buzz Windrip neuer US-Präsident!

Bühne Sinclair Lewis’ Roman „It can’t happen here“ ist von 1935. Warum die Jetztzeit fatal an dessen Handlung erinnert, zeigt die Inszenierung am Deutschen Theater. Sie bringt einen emotional in die Klemme

Etwas weniger realitätsnah wäre auch okay Foto: Arno DeclairHAU

von Katrin Bettina Müller

Eine Frau habe ihm weisgesagt, er werde durch einen Mann mit Sombrero sterben. Für Buzz Windrip, frisch als Präsident der USA im Weißen Haus eingezogen, reicht das, um alle Mexikaner aus dem Wachdienst des Weißen Hauses zurück nach Mexiko zu schicken. Falls er sie nicht gleich erschießen lässt. Aber dann geht die Paranoia schon los, die ihn erreicht. Er sieht Gespenster, sieht, wie seine Vertrauten, der Berater Lee Sarason und General Haik, in Sombreros auf ihn zukommen.

In dieser Szene erinnert die Inszenierung von „It can’t happen here“ im Deutschen Theater plötzlich an Shakespeare, an Macbeth und seine Verfolger. Und es wird unheimlich und beängstigend von jetzt an. Fast keiner tritt mehr auf, der nicht Mordgedanken hat.

Bis zu diesem Moment aber hat die Dramatisierung, die der Regisseur Christopher Rüping mit dem Roman „It can’t happen here“ von Sinclair Lewis vornimmt, vielmehr den Charakter eines politischen Lehrstücks gehabt, einer Satire auf Populismus und die Verquickung von Politik und Entertainment. Lewis’ Roman stammt von 1935 und geht in der Fiktion der Frage nach, ob ein faschistischer Präsident wie in Deutschland oder Italien auch in den USA möglich wäre. Im Roman gelingt Buzz Windrip mit windigen Wahlversprechen und der Hetze gegen jüdische Kommunisten und jüdische Bankiers der schnelle Aufstieg. Obwohl es doch offensichtlich ist, dass er ein Lügner ist. Denkt zumindest der Journalist Doremus Jessup, zweite Hauptfigur des Romans. „Ein so unauffälliger Beobachter wie Doremus Jessup […]konnte sich Windrips Macht über die Zuschauermassen nicht erklären. Der Senator war platt, fast ungebildet, ein oftmals überführter Lügner, seine Weltanschauung nahezu idiotisch.“

Klar, dass Lewis Roman, wiederaufgelegt im Aufbau Verlag, heute, nach dem Aufstieg Donald Trumps, geradezu unheimlich prophetisch wirkt. Das Deutsche Theater, das in seinem Spielplan viele Stoffe aufgenommen hat, um damit unterschiedliche Blicke auf die Konflikte der Gegenwart zu werfen, hat damit eine interessante Vorlage gewählt. Trotzdem ist die Dramatisierung nicht einfach.

Wie soll man die Verführten, die Regierten, die Massen, die ihn wählten, inszenieren und erklären? Der Regisseur Christopher Rüping greift zu dem Trick, dass die Zuschauer das Wahlvolk sind, Empfänger von Buzz Windrips Wahlkampfrede, Eingeladene zu Hotdogs bei seiner Siegesfeier. Während sie dann schon, wenn sie einzeln aus einer kleinen Tür im Eisernen Vorhang treten und zurück in den Zuschauerraum entlassen werden, die von der Willkür seiner Macht Getroffenen verkörpern. Eine Studentin, die Windrip mit Mussolini vergleicht, verschwindet; ein Minister, der entlassen wird und verschwindet. Kritiker und ehemalige Weggefährten werden eliminiert. Es dauert nicht mehr lange, bis man Doremus Jessup in einem Konzentrationslager wiederfindet.

Man hätte Punkt 15 der Wahlkampfrede besser beachten sollen, in dem Windrip nach vielen anderen Versprechungen wie Steuergeschenken und Grundeinkommen kurz die Verfassung ändert und das Parlament und die obersten Gerichtshöfe entmachtet.

Erklären, warum Windrip gewählt wurde, warum so viele auf seine Lügen hereinfallen, kann der Theaterabend zwar so nicht; wohl aber das Entsetzen darüber wachhalten in dem Wissen, das Ähnliches in unserer Gegenwart geschieht, nicht nur in den USA. Man ist also einerseits ständig mit einem Abgleich zwischen der Fiktion auf der Bühne und der Realität beschäftigt, wird andererseits den Mitteln von Suggestion und Manipulation ausgesetzt, die diese Schauspieler, wie Felix Goeser als Windrip und Michael Goldberg als Lee Sarason, mit sehr viel Charme beherrschen. Emotional ist man in der Klemme. Und hätte das Theater vielleicht gerne etwas weniger realitätsnah. Erst recht in der Schlussszene, inzwischen ist die Geschichte bei dem Militärdiktator General Haik als Windrips Mörder und Nachfolger angekommen, in einem zynischen Song darlegt, dass jetzt nur noch ein Tyrannenmord helfen kann. Kommt bitte einer aus dem Publikum und erschießt ihn.

Also, ziemlich psychoaktiv ist die Inszenierung auf jeden Fall. Bringt auch zum Denken, aber auch zum Schlingern. Kommt ganz ohne Theaterblut und die üblichen Provokationen aus, findet für Grausamkeiten akustische Chiffren. Ist anstrengend und macht nicht froh. Aber lässt sich auch nicht einfach beiseite schieben.

Wieder am 24. 9. und 7., 21., 28. 10. im Deutschen Theater

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