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Alles hängt mit allem zusammen

MATERIAL I Der Künstler Georges Adéagbo findet sein Material zufällig auf der Straße oder auf Flohmärkten und arrangiert seine Ding-Kollagen immer neu. Nach Künstlern wie Neo Rauch und Daniel Richter bekommt er den Finkenwerder Kulturpreis verliehen

von Hajo Schiff

Der Hamburger Stadtteil Finkenwerder vergibt seit 17 Jahren einen gut dotierten Kunstpreis. Denn die für den Kulturkreis Finkenwerder alle zwei Jahre von einer Fachjury bestimmten Preisträger erhalten vom Flugzeugbauer Airbus gesponserte 20.000 Euro. Nach Künstlern wie Neo Rauch und Daniel Richter, nach Ulla von Brandenburg, Thorsten Brinkmann und Christian Jankowski wurde als insgesamt neunter und erster afrikanischer Preisträger Georges Adéagbo gewählt. Dem abwechselnd in Cotonu im Benin und in Hamburg lebenden Künstler ist zudem eine Einzelausstellung seiner Objektkollagen im Kunsthaus Hamburg gewidmet.

Adéagbo ist der älteste von elf Geschwistern und studierte in Europa als 1971 sein Vater starb. Seine Familie rief ihn in den Benin zurück, er sollte neuer Familienchef werden. Das lehnte er ab und arbeitete stattdessen 20 Jahre lang im Hof seines Familienhauses an seinen tagebuchartigen Ding-Kollagen. 1993 wurde er von einem französischen Kurator entdeckt. Seitdem stellt Adéagbo erfolgreich in aller Welt aus, etwa bei den Biennalen in Johannesburg, São Paulo, Shanghai und Venedig oder auch bei der Documenta 11. Für den Altonaer Balkon in Hamburg gestaltete er 2015 die Installation „Inverted Space“ in einem Glaskubus.

In seiner subjektiven Organisation temporärer Ordnungen lässt der 1942 geborene Adéagbo die von ihm gesammelten Dinge reden. Das ist keineswegs magisch gemeint, sondern entsteht durch die Nähe der Dinge selbst. Dieses Lesen zwischen den Objekten kann auf verschiedenen Ebenen funktionieren, je kenntnisreicher die Betrachter und Betrachterinnen in Kultur- und Religionsgeschichte, in den Angelegenheiten Afrikas und dem Zeitgeschehen sind desto besser.

Adéagbo kombiniert Ereignisse im Benin und Erinnerungen an dessen Vorgängerstaat Dahomey mit Ereignissen in europäischen Ländern. Dabei ergeben sich im übergeordneten Sprach- und Kulturraum der Frankophonie manch direkte, aber meistens vielschichtige indirekte Bezüge. Dahinter steht eine Kunsttheorie, die ebenso gegenüber eindeutigen Setzungen skeptisch ist wie gegenüber dem genialisch produzierenden Individuum. Es wird davon ausgegangen, dass alles schon da ist und nur so inszeniert werden muss, dass es auch wahrgenommen wird.

Adéagbo findet sein Material zufällig auf der Straße, auf Flohmärkten oder in Antik- und Second-Hand-Läden und arrangiert die eigene Sammlung immer wieder neu. Er arbeitet auch mit einem Team von Künstlern und Kunsthandwerkern im Benin zusammen, die für ihn Reproduktionen malen und schnitzen.

Alles hängt mit allem zusammen. Wissenschaft, aber auch Literatur und Kunst liefern Methoden, um Zusammenhänge sinnvoll aufzuschlüsseln. Religionen, Ideologien und Sammlungen dagegen versuchen das große Ganze verbindlich abzubilden. Adéagbo verbindet beide Ansätze und generiert seine Aussagen synkretistisch in einem offenen methodologischen Feld ohne Anfang und Ende.

Seine Ding-Kollagen sind weder ideologisch noch didaktisch und zeigen deutlich die europäischen Fantasien über das Exotische und das Andere. Adéagbo ist aber weltgewandt genug, diese mitunter bösartig und vernichtend werdenden Ausgrenzungen schon bei der Definition einer Buch gewordenen „Weltgeschichte Bayerns“ ahnbar zu machen.

Adéagbos Kollagen zeigen deutlich die europäischen Fantasien über das Exotische

Die teils in weißen Schaukästen eingegrenzten, teils ausufernd Wand und Boden füllenden Kollagen funktionieren nach dem Prinzip einer befruchtenden und kommentierenden Nachbarschaft, in der schon der Hamburger Kulturwissenschaftler Aby Warburg seine Bib­liothek und seinen Bildatlas aufgebaut hatte. Da liegt der „Hauptmann von Köpenick“ neben den „Reden des Führers“ und die „unbekannten Bayern“ treffen die „Juden in der europäischen Geschichte“ neben der selten gestellten Frage, wie der afrikanische Löwe in Wappen und Brauereilogos geraten ist.

Statt anzuprangern, dass der Thron des alten Königreichs Dahomey sich heute in den Berliner Museen befindet, fragt Adéagbo hintersinnig, ob durch diese Gabe an Kaiser Wilhelm nicht auch das in diesem Sitzmöbel symbolisch-rituell repräsentierte afrikanische Land selbst auf Deutschland übertragen wurde, so wie im Mittelalter die Reichskleinodien für das Deutsche Reich wichtiger waren als der Kaiser selbst. Und es ist leicht weiterzudenken, dass das dann seiner häufigen Anwesenheit hier ja ein zusätzliches Recht gäbe. Für die Komplexität historischer Prozesse mag auch ein Beispiel sein, dass gerade das frühere Königreich Dahomey seinen Reichtum wesentlich aus dem Sklavenhandel gewann.

Georges Adéagbo ist heute einer der bekanntesten Künstler Afrikas. Und so ist es nicht verwunderlich, dass es auch schon Dissertationen über ihn gibt. Leider ist das umfangreiche und tiefschürfende Buch von Kerstin Schankweiler auch nicht ganz frei von zeitgeistig antikolonialen Worthülsen, die ein derart multiplex kulturell assoziierender und differenziert über einschränkende Kategorisierungen hinweg denkender Künstler überhaupt nicht nötig hat.

Georges Adéagbo weiß um die Vielschichtigkeit der Geschichte und der Geschichten und ist fest davon überzeugt, dass die Kunst eine Möglichkeit ist, mit seinem Gegenüber zu sprechen, ohne zum Feind zu werden.

„Georges Adéagbo – À la rencontre de l’art – Kunstpreis Finkenwerder 2017“: bis 8. 10., Di bis So 11 bis 18 Uhr, Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15

Kerstin Schankweiler: „Die Mobilisierung der Dinge – Ortsspezifik und Kulturtransfer in den Installationen von Georges Adéagbo“, Transcript-Verlag, 328 Seiten, 36,80 Euro

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