: Rassismus im Kinderzimmer
Kinder lieben Hörspiele. Eltern mögen sie, weil sie eine Pause in der Nachwuchsbespaßung verschaffen. Das könnte sich ändern, würden die Großen genauer hinhören. Die Jugendserie TKKG etwa transportiert seit Jahrzehnten ein rassistisches und sexistisches Menschenbild
von Katharina Mayer
Na klar, sagt Mama oder Papa, und hört gerade noch, wie der Nachwuchs sich das soeben erlaubte Hörspiel einschaltet. Alles paletti, denken die Erziehungsberechtigten und freuen sich über eine Dreiviertelstunde Pause von bohrenden Kinderfragen. Hätten sie das mal lieber nicht getan. Denn das Kind hat eine Folge der allseits beliebten Reihe TKKG erwischt. Was allein schon wegen des unaussprechlichen Namens auf dem Müllhaufen der Geschichte landen sollte, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als erzreaktionäre Gehirnwäsche für die lieben Kleinen.
Kinder lieben Hörspiele, denn man kann sie beliebig oft anhören. Eltern dagegen weigern sich oft, dieselbe Geschichte zum dreißigsten Mal zu erzählen. Außerdem hindert Hörspielberieselung im Gegensatz zum Lesen nicht am gleichzeitigen Legospielen. Klarer Vorteil für multitaskinginteressierte Kinder oder solche, deren Freizeit sich dank Frühförderung, Geigenunterricht nach der Suzuki-Methode und Kinderturnen auf ein absolutes Minimum reduziert hat. Auch das Erziehungspersonal schätzt die Produkte der Hörspielindustrie: als Quasselstopp auf langen Autofahrten etwa. Oder als Garant für die halbe Stunde Mittagschläfchen.
Deshalb ist TKKG schon seit 30 Jahren erfolgreich. Was steckt eigentlich hinter diesem absurden Kürzel? Eine Jugendbande mit vier Mitgliedern namens Tim, Karl, Klößchen und Gaby – in ebendieser Reihenfolge. Die vier Nachwuchsdetektive sind seit 1979 auf der Jagd nach „Verbrechern“ und bleiben doch ewig 13 Jahre alt – wen wundert's, käme ihnen doch sonst die Zielgruppe abhanden. Mit annähernd 30 Millionen verkauften Tonträgern, 14 Millionen verkauften Büchern, einer eigenen Fernsehserie und einem ausgeklügelten Merchandise-Programm kann man TKKG zu den erfolgreichsten Jugendserien rechnen. Erfunden wurde die Bande von Rolf Kalmuczak, der hier unter dem Pseudonym Stefan Wolf arbeitete. Doch damit nicht genug: unter rund 100 Pseudonymen schrieb Kalmuczak 160 Jugendbücher, Kriminalgeschichten, Drehbücher. Eine Vielschreiberleistung, die ihn sieben Jahre lang ins Guinnessbu Sinti und Roma ch der Rekorde brachte.
Selbstjustiz gehört zum festen Repertoire von TKKG
„Da bleibt die Qualität auf der Strecke“, sagt der Tübinger Historiker Lucius Teidelbaum. Als Kind war er bekennender TKKG-Fan, kaufte „aus nostalgischen Gründen“ sämtliche Kassetten, derer er auf dem Flohmarkt habhaft werden konnte. Irgendwann fing Teidelbaum an, sich kritisch mit den Helden seiner Kindheit auseinanderzusetzen. Seitdem hat der Mitdreißiger auch einen Vortrag zur TKKG-Kritik im Programm. Darin nimmt er die vier „Jung-Blockwarte“ gründlich auseinander.
Das T steht für Tim. Ursprünglich wurde der Tarzan genannt, eine Urheberrechtsklage nach wenigen Folgen bereitete dem Spuk im Großstadt-Dschungel aber ein jähes Ende. Tim ist im streng hierarchisch organisierten Clan der Anführer und hat immer recht, respektive das letzte Wort. Er verkörpert das Ideal des großen Bruders, des Beschützers, nach dem sich auch viele seiner Zuhörer in der aufreibenden Schulzeit sehnen. Seine Vorstellung von Gerechtigkeit setzt Tim auch gerne mal gewaltsam durch, als Kampfsportass hat er das Recht des Stärkeren stets auf seiner Seite. Selbstjustiz gehört ohnehin zum festen Repertoire von TKKG: Bevor den Nachwuchspolizisten ein Verdächtiger durch die Lappen geht, wird er nach Strich und Faden verprügelt.
Die beiden K in der Mitte gehören zu den eher farblosen Gesellen Karl und Klößchen. Karl hat als Professorensöhnchen (mit dem reichlich platt gewählten Namen Vierstein) die Intelligenz quasi mit der Muttermilch aufgesogen und ist der Schlaumeier unter den vieren. Nicht nur darin spiegelt sich eine biologistische Begründung, die Frösteln macht. Auch Verbrecher in der Serie produzieren durchweg nur Nachwuchs, der in die vorgegebenen Fußstapfen tritt.
Klößchen wiederum schaut aus, wie er heißt: Seine Ess-Sucht muss auch in der 179. Folge noch als Charakterbeschreibung genügen. Ansonsten sitzt er ohnehin an der Quelle: Die Eltern stellen Schokolade her.
Spannend wird es beim letzten Buchstaben: Das G steht für Gaby. Viel Spielraum bleibt freilich nicht für das einzige Mädchen in der Detektivserie. In erster Linie ist sie Tochter eines waschechten Polizisten, in zweiter die Freundin des TKKG-Häuptlings Tim, welcher ein reichlich patriarchales Rollenbild pflegt. Zum einen muss Gaby immer dann zu Hause bleiben, wenn es gefährlich werden könnte. Zum andern wird ihr auch mal von ihrem zukünftigen Göttergatten erklärt, sie habe jetzt „das Maul zu halten“. Aufmachen darf sie den Mund nur dann, wenn es um Tiere geht. Als Besitzerin eines Hundes namens Oskar darf sie sich empören, wenn etwa Pferde beim Transport halb verdursten.
Na gut, könnte man sagen, Gaby kommt nicht gut weg. Sie darf oft nicht mitmachen, wenn die Jungs einen Fall lösen. Da ist es für sie dann zu spät (um zehn ist Schicht) oder zu gefährlich. Einen Einblick in sein schlichtes Rollenverständnis liefert Autor Kalmuczak in einem Interview aus dem Jahr 2005. Da fragt sich der Vielschreiber, wie viele Möglichkeiten man habe, ein Mädchen zu schildern? Und liefert die Antwort gleich mit: „Sie ist entweder blond und blauäugig, dunkelhaarig mit braunen Augen, oder sie ist eine Rothaarige mit grünen Katzenaugen.“ Mädchen haben keinen Charakter, allenfalls Katzenaugen.
So viel zu den Protagonisten. In mittlerweile 179 Folgen – seit Kalmuczaks Tod 2007 schreibt ein Autorenteam die Geschichten – jagen diese Jungdetektive jeden, der gegen Recht und Gesetz verstößt. Nur seltsam, dass das im TKKG-Kosmos überwiegend Menschen migrantischer Herkunft oder Randgruppen sind: vom Italiener über den Obdachlosen bis hin zum Punker. Sie alle haben eines gemeinsam: Der jugendliche Gesetzeshüter-Nachwuchs sieht ihnen die Schuld schon an der Nasenspitze an. Körperliche Merkmale wie ein dunkler Teint oder Tätowierungen machen die Bösen schon von vornherein kenntlich. Spätestens da bekommt die Serie einen deutlich rassistischen und sozialdarwinistischen Schlag. Gerne werden die Übeltäter auch mit Tieren verglichen, eine schon im Nationalsozialismus sattsam erprobte Praxis. Beispiel? „Ratten aber, das sind possierliche Tierchen im Vergleich zu diesem Abschaum.“
Vorurteile in Häppchen für Kinder und Jugendliche
In anderen Folgen fallen Sätze wie „Das haut den stärksten Neger aus der Weltraumkapsel“, wird über die „Endlösung der städtischen Taubenfrage“ schwadroniert und die Welt auf eine Weise erklärt, die schlicht von vorgestern ist.
Ein klar postnazistisches Weltbild attestieren die Autoren Jean-Philip Baeck & Volker Beeck in ihrem Text „Mit Judo gegen Wodka Bruno, Miethai Zinse und Dr. Mubase. TKKG – ein postnazistischer Jugendkrimi“. Autor Rolf Kalmuczak jedenfalls machte 2005 in einem Interview keinen Hehl aus seinem reaktionären Weltbild. „Heute besteht mein Publikum aus überwiegend jungen Menschen, und ich gebe mir schon große Mühe, meine Philosophie rüberzubringen. Und diese Philosophie enthält auch die Erhaltung tradierter Werte, ohne die wir in dieser Gesellschaft nicht auskommen.“ In den Hörspielen hört sich das dann so an: „Wenn sie nicht zahlen, werden wir die Kleine ins Ausland bringen und an Zigeuner verkaufen.“ Fakt ist allerdings, so der Historiker Lucius Teidelbaum, dass in der Vergangenheit vielmehr Sinti und Roma die Kinder gestohlen wurden, um sie in staatlichen Erziehungsheimen aufwachsen zu lassen. Angesichts des immer wieder auch in Europa aufflackernden Hasses auf Sinti und Roma vermittelt die Hörspielreihe Kindern nicht nur an dieser Stelle das denkbar schlechteste Weltbild.
Nicht in allen Folgen sind rassistische oder sexistische Sprüche zu hören. Im Zweifel reicht aber einer, um das Weltbild eines kleinen Menschen zu prägen. Da greift der aufgeklärte Teil der Elternschaft lieber zu Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg oder Pippi Langstrumpf. Die vermitteln weder ein antiquiertes Rollenbild noch rassistische Stereotype. Fazit für alle Eltern, denen die Gehirnwäsche bei TKKG gegen den Strich geht: Es gibt Alternativen.