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Schwangere Auster

FUSSBALLARENA Atlético Madrid weiht sein 310 Millionen Euro teures neues Stadion ein, und die Fans fremdeln noch etwas mit der Schüssel, obschon der Klub mit 1:0 gegen Malaga gewinnt

aus Madrid Florian Haupt

„Que bote el Calderón“, sangen die Fans in der Kurve, als An­toine Griezmann das erlösende Tor zum 1:0 gegen Málaga geschossen hatte: „Das Calderón soll hüpfen.“ Alte Gewohnheit. Denn soweit das einem Stadion überhaupt jemals möglich war, kann das Estadio Vicente Calderón nicht mehr hüpfen. Nach 51 Jahren wird es bald abgerissen. Atlético Madrids Heimat heißt seit Samstag stattdessen Wanda Metropolitano. So mancher Refrain muss nun also verlängert, so manche Abkürzung gefunden werden. Die Fans waren davon fürs Erste überfordert, der Chor verstummte schnell.

Mit ihrem geschwungenen Dach sieht das Stadion von außen ein wenig aus wie die Schwangere Auster in Berlin. Begonnen wurde der Bau einst mit dem Ziel, Olympische Spiele in Madrid auszurichten; als sich die Hoffnung darauf zerschlug, übernahm Atlético. 310 Millionen Euro soll der Prachtbau insgesamt gekostet haben. Jetzt sollen 140 Millionen Euro der Investitionen durch den Verkauf des alten Geländes gedeckt, der Rest in sechs bis sieben Jahren abbezahlt sein, „konservativ geschätzt“, so Geschäftsführer Miguel Ángel Gil Marín.

So weit die Zahlen, aber beim traditionsverliebten Atlético geht es auch um das Gefühl. Die Tränen, die man dem Calderón nachgeweint hatte, waren immerhin schon getrocknet, als die Anhänger sich am Samstag schon weit vor Spielbeginn auf den Weg machten: mit der Metro an ihnen unbekannten Stationen vorbei, auf den Weg in die Vorstadt San Blas in Madrids wenig aufregendem Osten. Von der Hochhauswüste Meseta wehte ein kühler Wind herüber, als bei strahlend blauem Himmel die 338 Quadratmeter große Vereinsfahne eingeweiht wurde, die auf einem 40 Meter hohen Mast vorm Stadion weht. Beide Zahlen sind Superlative, ohne die kommt ein solches Projekt ja nicht aus.

Wirklich spektakulär ist die neue Arena jedoch innen, wo Leuchtschriften durchs Rund laufen, alles in LED beleuchtet ist, die Vereinshymne in Dolby-Surround ertönt – und wo die eindrucksvolle Dachkonstruktion mit strahlenförmigen Panels nicht umsonst ans Maracanã von Rio de Janeiro erinnert: Sie stammt vom selben deutschen Büro. „Das beste Stadion Europas“ (Atlético-Präsident Enrique Cerezo) will schon nächste Saison das Champions-League-Finale ausrichten, und tatsächlich bedeutete es wohl eine neue Dimension für den Alltagsgebrauch: Solche Arenen, ob in London oder Paris, beherbergen normalerweise nur die besonderen Anlässe im Fußball. „Es fühlte sich an wie ein Finale, nicht wie unser Stadion“, bestätigte hernach Atléticos spielende Klubikone Fer­nan­do Torres.

Torres hatte zusammen mit Exstürmer Garate den symbolischen Anstoß ausgeführt. Zuvor hatte in einer eher aus Amerika bekannten Einlage eine spanische Flugstaffel die Nationalfarben in die Luft gemalt. Der Conferencier der Eröffnungszeremonie bemühte dazu die „historische Verbundenheit mit der Luftwaffe“, was durchaus irritieren konnte: Dass der Verein als „Atlético Aviación“ in den härtesten Jahren der Franco-Dikatur nach dem Spanischen Bürgerkrieg mit den Fliegern fusioniert war, gilt vielen Fans nicht gerade als ruhmreichster Teil ihrer Klubgeschichte. Ohnehin sind die Spanier wenig militärversessen; man ließ sich also erst wieder zum Jubeln animieren, als im Rahmen einer Sta­dion­kunde das geliebte Calderón erwähnt wurde.

Wenn die Anhänger danach ihre lang gezogenen „Atleti“-Rufe anbrachten, zeigte sich, dass das neue Stadion auch eine beeindruckende Akustik hat. Insgesamt aber war die Stimmung noch gedrückter als im Calderón, vor lauter Komfort und wohl auch Überwältigung stimmte der Rest seltener in die Gesänge der Kurve ein als gewohnt. Am eher zähen Fußball kann es nur peripher gelegen haben, denn für den ist Atlético ja schon immer bekannt.

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