: Liebesdreieck in den Wirren des Kriegs
Türkei Der Spielfilm „The Promise“ verschränkt das Massaker an den Armeniern mit einem Melodram
Dass das Kino als Mittel zur Propaganda oder zumindest zur Agitation taugt, zeigte sich schon zu einem frühen Zeitpunkt der Entwicklung des Mediums. Spätestens mit der Erfindung des Tonfilms versuchten Autokraten, aber auch demokratische Regierungen, das Kino für ihre Zwecke zu nutzen. Heutzutage ist gerade im Bereich des Dokumentarfilms festzustellen, dass ein Thema nicht mehr auch nur Ansatzweise objektiv dokumentiert wird, sondern dass auf mehr oder weniger polemische Weise für oder gegen dieses und jenes agitiert wird.
Weil im Bereich des Spielfilms diese Tendenz weniger verbreitet ist, erscheint Terry Georges „The Promise“ bemerkenswert. Der Film handelt von einem Thema, das eigentlich nicht mehr heikel ist, zumindest außerhalb der Türkei: dem Genozid an den Armeniern, verübt durch Truppen des Osmanischen Reichs, dem in den Jahren 1915 und 1916 Hunderttausende zum Opfer fielen, die genannten Zahlen schwanken zwischen 300.000 und 1,5 Millionen.
Zweifel daran, das sich dieser erste Genozid des 20. Jahrhunderts ereignet hat, gibt es unter Wissenschaftlern nicht mehr, allein die Türkei streitet – aus politischen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen, Stichwort Reparationszahlungen – ab, dass es sich bei den auch von ihnen nicht bestrittenen Aktionen und Opfern um den gezielten Versuch der Ausrottung eines Volkes handelte.
Eine Annäherung scheint momentan kaum möglich, zu verbohrt agiert die Türkei in dieser Frage, erst recht im Zuge des zunehmend autokratisch agierenden Erdoğan-Regimes. Warum also ein Film wie „The Promise“, der eine melodramatische Episode aus dem Krieg erzählt, die lose auf der verbrieften Rettung von einigen hundert Waisenkindern basiert, allerdings ausgeschmückt durch ein fiktives Liebesdreieck, in dem schöne Menschen wie Oscar Isaacs, Charlotte Le Bon und Christian Bale in den Wirren des Kriegs nacheinander schmachten?
Finanziert wurde „The Promise“ von Kirk Kerkorian, einem vor zwei Jahren verstorbenen amerikanischen Milliardär armenischer Abstammung, der satte 90 Millionen Dollar in das Projekt investierte. Mit dem offensichtlichen Ansinnen, den Genozid an den Armeniern im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu verankern. Ob das gelingt, sei dahingestellt, interessant, interessanter vor allem als das behäbige, von seiner eigenen Bedeutung allzu überzeugte Melodram ist nun aber eine gemutmaßte Reaktion der türkischen Seite.
Denn fast zeitgleich mit „The Promise“ kam in Amerika ein Film mit dem Titel „The Ottoman Lieutenant“ in die Kinos, der einen, vorsichtig ausgedrückt, revisionistischen Blick auf das Thema wirft, einen Blick, wie er heutzutage praktisch nur noch in der Türkei existiert. Offiziell ist dies zwar eine unabhängige Produktion, doch nicht nur die Macher von „The Promise“ vermuten, dass Bilal Erdoğan seine Finger im Spiel hatte.
Laut dem Branchenblatt The Hollywood Reporter ist der Präsidentensohn in der türkischen Medienindustrie aktiv und produziert Filme und Serien, die einen dezidiert protürkischen Blick auf die Geschichte werfen und dabei oft die fragwürdigeren Aspekte der osmanisch-türkischen Geschichte zumindest verharmlosen.
Ob diese Vermutungen nun stimmen oder nicht, erfolgreich war die mögliche filmische Propagandaschlacht jedenfalls für keine der beiden Seiten: In den USA floppten beide Filme an der Kinokasse. Ohnehin darf der ideologische Nutzen so unverhohlen tendenziöser Filme infrage gestellt werden, die im besten Fall offene Türen einrennen, im schlechtesten als allzu durchschaubare Propaganda abgetan werden können. Um zu wissen, dass ein Genozid an den Armeniern statt gefunden hat, muss man jedenfalls nicht ins Kino gehen. Michael Meyns
„The Promise – Die Erinnerung bleibt“. Regie: Terry George. Mit Oscar Isaac, Charlotte Le Bon u. a. USA 2017, 133 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen