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Kein Glück im Freudenhaus

Nach dem unglücklichen 1:2 gegen den VfB Stuttgart und immer noch ohne einen einzigen Punkt versucht der FSV Mainz 05 das lustvolle Scheitern nicht weiter zur Routine werden zu lassen

Aus Mainz TOBIAS SCHÄCHTER

Glück, glaubt Jürgen Klopp, sei nichts anderes als eine Überwindungsprämie. Diese, so Klopp, könne man sich immer wieder neu verdienen. Als Empiriker des lustvollen Scheiterns aber hat der Fußballtrainer Klopp gelernt, dass das Leben diese Prämie nicht immer auszahlt. „Es bedeutet nicht zwingend, dass man auch immer Glück hat, wenn man alles dafür getan hat“, sagte Klopp weise, nachdem sein FSV Mainz 05 zum zweiten Mal in letzter Sekunde von einem Aufstiegsplatz in Liga zwei und in ein tiefes Tal der Tränen geschubst worden war.

Andere wären daran verzweifelt. Die Rheinhessen sind trotzdem aufgestiegen in die Bundesliga, im dritten Anlauf. Und drin geblieben. Und nun, im zweiten Jahr der Erstklassigkeit, noch immer ohne Sieg und ohne Punkt. Am Samstag verloren sie auch das fünfte Spiel: mit 1:2 gegen den VfB Stuttgart.

Es war eine Niederlage, die Nullfünf so ratlos zurückließ, als sei ein Naturereignis über sie hereingebrochen. „Unverdienter geht es nicht“, haderte Präsident Harald Strutz. „Wir haben das Pech gepachtet“, vermutete Manager Christian Heidel, und Jürgen Klopp glaubte: „Das ist an Tragik kaum zu überbieten.“

Dem VfB und seinem Trainer Giovanni Trapattoni schenkte dieser erste Saisonsieg ein wenig Zeit, ohne dass die Zweifel an den seltsamen Entscheidungen des Italieners beseitigt werden konnten. Dafür war die Leistung des VfB zu miserabel.

„Das ist richtig, richtig, richtig bitter und verursacht große Schmerzen“, sagte Klopp kopfschüttelnd. Der 38-Jährige saß nach dem Spiel zusammengekauert wie ein Häuflein Elend auf dem Pressepodium des Mainzer Bruchwegstadions. Was sich in den 90 Minuten zuvor im Spektakulum Bruchwegstadion abspielte, war eine Miniatur dessen, wovon die Dramen dieses Klubs in den letzten Jahren künden. Eine limitierte Mannschaft bietet leidenschaftlich einer talentierteren Paroli, rennt mit Biss und der enthusiastischen Unterstützung des Publikums an, vergibt Chancen, gerät plötzlich in Rückstand und scheint geschlagen, schafft aber den Launen des Schicksals trotzend postwendend den Ausgleich, rennt weiter heldenhaft an und ist am Ende dennoch der vom Glück verlassene Verlierer.

Ein „ganz, ganz hartes Brot“ kaute Klopp auch Stunden später noch schwer. Die Niederlage bescherte seiner Mannschaft den schlechtesten Start eines Bundesligisten, seit vor 14 Jahren Fortuna Düsseldorf ebenfalls fünfmal hintereinander verlor. Klopp zuckte mit den Schultern: „Wir sprechen über Millimeter auf dem Schuh, wenn der Gomez abzieht und den Ball so genau trifft, dass er in den Winkel fliegt und kurz zuvor Michael Thurk die Kugel eben nicht optimal genug trifft und sein Schuss knapp daneben geht.“

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Tore immer Ergebnis einer Abfolge von Aktionen sind. Beim entscheidenden Tor zwei Minuten vor dem Ende durch den eingewechselten Gomez traf dieser den Ball zwar so optimal, dass er für Torhüter Timo Wache nicht zu halten war, aber ausgerechnet der Mainzer Abwehrspieler Manuel Friedrich war es – bis dahin bester Mann auf dem Spielfeld – , der dem Torschützen den Ball durch einen Flüchtigkeitsfehler maßgerecht vorlegte. Schon beim 1:0 des VfB in der 76. Minute fungierte ein Mainzer als ungewollter Vorlagengeber: Christoph Babatz verlängerte den Ball per Kopf nach einer Gerber-Flanke genau in den Lauf des Dänen Jon Dahl Tomasson, und der Däne bugsierte das Spielgerät im Fallen schließlich über die Torlinie. Im Gegenzug köpfte Nikolce Noveski den Ausgleich.

Am Ende aber stand nichts außer bitterer Enttäuschung. „Die Stimmung ist am Nullpunkt“, gab Torhüter Dimo Wache zu. „Aber nach so einem Spiel haben wir das Recht, sauer und traurig zu sein“, sagte der Mainzer Kapitän. Als Beleg wurde ein Stück Pressspanplatte aus der Mainzer Kabine getragen, das ein nicht zu ermittelnder Spieler aus Frust aus der Kabinenwand getreten hatte.

Die Hoffnung auf bessere Ergebnisse zieht Klopp aus der Erkenntnis, dass man im bisherigen Saisonverlauf nie schlechter war als der Gegner. „Das Spiel am Mittwoch in Kaiserslautern empfinde ich im Moment nicht als Derby, sondern einfach als unsere nächste Chance“, stellte Klopp mit leiser Stimme fest: „Wir müssen das Glück zwingen.“ Dass man dafür nicht immer belohnt wird, wissen sie in Mainz nicht erst seit Samstag.

FSV Mainz 05: Wache - Abel, Friedrich, Noveski, Weigelt - Gerber, Babatz - Thurk, Ruman (67. Geißler), da Silva (90. Zidan) - Romulo (80. Jovanovic) VfB Stuttgart: Hildebrand - Hinkel, Meira, Delpierre, Gerber - Soldo - Grönkjaer (90. Stranzl), Gentner (46. Meißner), Hitzlsperger - Ljuboja (67. Gomez), Tomasson, Zuschauer: 20.300 (ausverkauft), Tore: 0:1 Tomasson (76.), 1:1 Noveski (77.), 1:2 Gomez (88.)

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