Schon so gut wie tot

Das „Flugsicherheitsgesetz“, im Januar 2005 vom Bundestag verabschiedet, soll im Notfall den Abschuss einer Passagiermaschine erlauben. Vielfliegern gefällt der Gedanke gar nicht – sie klagen

VON JONY EISENBERG

Burkhard Hirsch hat 40.000 Bonus-Meilen bei der Lufthansa, Gerhard Baum 27.000, ebenfalls mit der Kranichlinie, bei der KLM hat er einen Prämienstand von 131.000, ein Pilot der DBA mit bis zu drei Flügen am Tag gesellt sich zu ihnen. Zusammen erheben die Vielflieger Verfassungsbeschwerde gegen das „Flugsicherheitsgesetz“ vom Januar 2005, das den Bundesverteidigungsminister ermächtigt, ein Flugzeug abschießen zu lassen.

Der „finale Rettungstotschlag“ verletzt, so Hirsch, ihre Menschenwürde und das Grundrecht auf Leben. Bereits der Wortlaut seines § 14 verdecke, dass die Leben der Passagiere geopfert würden, denn darin sei nur die Abwägung zwischen dem Leben der potenziellen Opfer des Angriffs mit dem Flugzeug gegen den Abschuss des Flugzeugs erwähnt, die Passagiere würden nicht genannt.

Diese aber, die selbst Opfer der gegenwärtigen Straftat seien, würden zum nackten Objekt der Entscheidung: Schily habe – so die Beschwerdeschrift – auf seiner Pressekonferenz am 12. Januar 2005 erklärt, es gehe nicht (mehr) um die Abwägung „Leben gegen Leben“, denn die Passagiere des abzuschießenden Flugzeuges seien ja eigentlich schon so gut wie tot.

Die Bundesregierung, vertreten durch einen Professor für öffentliches Recht, wendet dagegen ein, das Gesetz sei nicht zu beanstanden: Er behauptet, „dass eine Situation faktisch so gut wie ausgeschlossen ist, in der ein Luftfahrzeug abgeschossen werden müsste.“

Und zwar, wie wunderlich, weil es das famose Gesetz gibt: „Das Gesetz trägt schon durch die Voraussetzung der Prognosesicherheit zur Vermeidung des Extremfalles bei“, heißt es da. Warum es dann die Ermächtigung zum Abschuss gibt? Wir erfahren es nicht. Jedenfalls entspreche das Gesetz „bestehenden Wertungen der deutschen Rechtsordnung“.

Als Beispiel zitiert der Professor das Infektionsschutzgesetz, das ermächtigt, Pockenschutzimpfungen zwangsweise anzuordnen. „Dabei ist bekannt, dass bei Pockenschutzimpfungen auf 1 Million Geimpfte 2 Todesfälle kommen sowie 15 Geimpfte mit bleibenden Schäden“. Auch den § 218 StGB (Abtreibung) zitiert er als der gleichen Wertung folgend.

Der Deutsche Bundestag, ebenfalls vertreten durch einen Professor, beschwichtigt: Das Gesetz sei zwar keine „symbolische Vorschrift“, aber ein Flugzeug dürfe ganz sicher nicht über einer Großstadt abgeschossen werden, wegen der damit verbundenen Gefahren für eine „unüberschaubare Zahl“ von Menschen, die von Trümmerstücken getroffen werden könnten. Nur wenn die Gangster bereits über dünn besiedeltem ländlichem Gebiet ihre Absichten kundtun, darf also geschossen werden. Oder wenn die Terroristen ein Atomkraftwerk ansteuern oder das Zentrum einer Großstadt, so der Professor. In letzterem Falle darf dann – so verstehe ich den Mann – also doch über einer Großstadt abgeschossen werden. Auf die Idee, die Atomkraftwerke stillzulegen, um die davon ausgehenden Gefahren zu beseitigen, kommen übrigens weder Beschwerdeführer noch Beschwerdegegner.

Meine Meinung: Symbolische Gesetze rechtfertigen einen Abschuss einer mit Zivilpersonen, die selbst Verbrechensopfer sind, besetzten Maschine nicht. Diese Menschen leben – entgegen der Vorstellung des Bundesinnenministers – auch noch. Sichere Prognosen sind in derartigen Fällen nicht möglich, allen Verteidigern dieses Gesetzes zum Trotz.

Meine sichere Prognose lautet daher, dass die Ermächtigung zum Abschuss von Passagierflugzeugen vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden wird. Bundesregierung und Bundestag, die dieses Gesetz zu verantworten haben, wird das nicht mehr interessieren, sie gibt es dann nicht mehr.