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Bildpolitik Längst überfällig: Charlotte Klonks Systematik der neuen visuellen Gewaltlogiken und das Desiderat einer „Geste des Nicht-Zeigens“Ruhm und Rache

von Ingo Arend

Vor laufender Kamera enthauptet. Der Mord an dem amerikanischen Geschäftsmann Nicolas Berg durch Mitglieder der islamistischen Terrororganisation al-Qaida im Mai 2004 im Irak erschütterte nicht nur die USA. Das ins Netz gestellte Video des Mords an dem 26-Jährigen markierte einen neuen Höhepunkt dessen, was gern reißerisch als „Krieg der Bilder“ apostrophiert wird.

Angesichts der demonstrativen Brutalität der Bluttat war das Entsetzen verständlich. Doch ganz so neu sind solche Bilder nicht. Die Erkenntnis, dass Terrorstrategien schon immer von Bildstrategien begleitet waren, ist denn auch die wichtigste Erkenntnis der spannenden Studie von Charlotte Klonk.

In ihrem jüngsten Buch verfolgt die 1965 geborene Kunsthistorikerin, seit 2011 Professorin für Kunstgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität, derlei visuelle Strategien von den Anarchisten im 19. Jahrhundert über die Geiselnahmen und Flugzeugentführungen der 70er und 80er Jahre bis zu den Terroranschlägen in New York 2001.

Dabei arbeitet sie heraus, dass die „Bilder des Terrors“ sich wiederholenden Mustern folgen. Dem Zeichner der Illustrated London News, der das Attentat auf Zar Alexander am 13. März 1881 in Sankt Petersburg nachträglich zu einer „Momentaufnahme“ rekonstruierte, ging es auch darum, den konkreten Schrecken des Attentats zu zeigen. Wodurch er ungewollt aber auch genau das Bild diffuser, permanenter Angst in Umlauf brachte, dass Anarchistengruppen wie die Narodnaya Volya in Russland, die irischen Republikaner der Clan na Gael oder der französische Anarchist Ravachol verbreiten wollten, die zehn Jahre später in London und Paris Kasernen, das Parlament und eine Polizeiwache in die Luft jagten.

Hier wie dort setzten die Täter auf die verstärkende Wirkung der Massenmedien. Terror, ließe sich Klonks historischer Rekurs verallgemeinern, ist immer eine mediale Strategie. Ihren Höhepunkt erreichte sie bei dem Angriff auf das World Trade Center. Vollends verselbstständigt habe sie sich, so argumentiert sie, in den berüchtigten Enthauptungsvideos: „Nicht der Gewaltakt an sich zählt, sondern die Bilder, die davon in Umlauf gebracht werden.“

Demütigung der Täter

Die Spirale aus „Ruhm- und Rache­bedürfnis“, die beim Terror in Gang kommt, demons­triert Klonk anhand eines Titelbilds des Zeitschrift Stern vom Herbst 1977. Das Bild des halb entkleideten Chefs der in Mogadischu zur Strecke gebrachten Entführer der Lufthansa-Maschine Landshut belegt für die Wissenschaftlerin das Bedürfnis nach „Erniedrigung und Demütigung der Täter“.

Bombenattentat auf Alexander II., Zar von Russland, 1881 in Petersburg, zeitgenössischer Holzstich, ­abge­bildet im besprochenen Buch Foto: Ullstein Bild

Dem Bild, das den „Terror der Tat“ zeigt, folgt in der Regel immer eines, das als „Bild der Ordnung“ den Selbstbehauptungswillen der angegriffenen Gesellschaft zum Ausdruck bringen soll. Im Fall von 9/11 demonstriert Thomas Franklins zwei Tage nach dem Attentat entstandene Fotografie „Feuerwehrleute hissen eine amerikanische Flagge auf Ground Zero“ diese patriotische Bildrhetorik.

Klonks These, dass Bilder von Terroranschlägen „immer im Interesse der Täter“ sind, ist angesichts der Fülle ihres Beweismaterials zwar plausibel. „Täter“ sind freilich nicht immer nur Anarchisten. Sie selbst erwähnt das 2014 von der US-Regierung gegründete „Center for Strategic Counterterrorism Communications“ (CSCC), das die amtlichen Gegenbilder zu IS-Werbespots produziert, allerdings lediglich. Eine weitere Leerstelle des Buchs ist die Bildstrategie des rechtsextremen Terrors.

Das ändert nichts daran, dass Charlotte Klonks Werk ein überfälliger Versuch ist, die neuen visuellen Gewaltlogiken unterhalb der Schwelle des Kriegs zu systematisieren. Überzeugend arbeitet sie einen Strukturwandel der Öffentlichkeit heraus, in dem heute jedermann zum Bildproduzenten wird. Ihr Desiderat der „Geste des Nicht-Zeigens“ als Kern einer neuen Bildethik kann sich also nicht mehr allein an die Medien oder das Presserecht richten.

Denn was in den sozialen Medien gepostet wird, geht inzwischen überwiegend auf das Konto derjenigen, die Klonk „Amateure ohne Verantwortung“ nennt. Das klingt populistisch. Doch was auf Facebook- oder Instagram-Konten gepostet wird, kommt oft genug einer (sozialen) Enthauptung gleich.

Charlotte Klonk:„Terror. Wenn Bilder zu Waffen werden“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017, 320 Seiten, 25 Euro

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