Grüne warten auf „die Großen“

Die Grünen freuen sich über das schlechte CDU-Ergebnis – und sind ratlos: Holt Schröder sie in eine Ampel? Sonst wären sie kleinste Oppositionspartei

VON ULRIKE WINKELMANN

Großer, sehr großer Jubel hallte gestern bei der Grünen-Wahl-„Party“ durch die Halle des Flughafen-Hangars von Berlin-Tempelhof. Allerdings galt der nicht dem grünen Wahlergebnis. Es war ein Ersatzjubel über das schlechte Abschneiden der Union. Denn was die Grünen nun mit ihren leidlich guten knapp-über-8 Prozent anfangen würden, ließen ihre Spitzen offen.

Die allseits verwendete Formulierung lautete: „Wir sind auf Opposition eingestellt.“ Doch wurde dies als Erstes von Joschka Fischer erweitert: „Dieses Wahlergebnis ist ein schwieriges Wahlergebnis“, rief der Oberwahlkämpfer den 2.500 Gästen im Hangar zu. „Einerseits“ müssten die Grünen sich „auf die Opposition einstellen“. Andererseits seien jetzt „die Großen am Zug“ – SPD und Union. Die Grünen würden ihrem „Auftrag“ nachkommen, „in der Opposition oder in einer anderen Rolle“.

Weniger umständlich formulierte Noch-Verbraucherministerin Renate Künast: „Wir Grünen können alles – wir können Opposition und Regierung.“ Sollte heißen: Eine rot-grün-gelbe Koalition, Kurzname Ampel, hielten die Führungsgrünen zunächst nicht für wahrscheinlich. Aber mitmachen würden sie wohl.

In aller vielzitierter Klarheit hatten die beiden Grünenchefs Reinhard Bütikofer und Claudia Roth zwar in den Tagen zuvor die Ampel abgelehnt. Auch die Pfiffe, mit denen im Hangar jeder Auftritt eines FDP-Vertreters auf der Großbildleinwand begleitet wurden, sprachen gestern für sich – beziehungsweise für die Stimmung der Basis. Einerseits.

Andererseits hat nie jemand in Frage gestellt, wie gern Fischer Außenminister bliebe. Und sollte Gerhard Schröder eine Ampel zustande bringen, werden Fischer, Künast und Konsorten sicherlich erklären: Eine Regierung mit den Bürgerrechtlern, den Homoehe-Befürwortern und den Datenschützern von der FDP ist die einzig glückbringende Option.

Doch es sah gestern nicht danach aus, als wollten die Liberalen sich zu Regierungskofferträgern für Schröder machen lassen. Dann werden die Grünen sie eben als Oppositionspartner besser kennen lernen. Dann wird ein Ex-Außenminister Fischer mit einem Doch-nicht-Minister Westerwelle gemeinsam über die gegenseitige Blockade einer großen Koalition lästern. Inhaltliche Nähe dürfte allerdings eher zwischen den Grünen und der Linkspartei entstehen. Die überholte gestern Abend die Grünen auf der 8-Komma-Strecke und machte sie so zur kleinsten Oppositionspartei.

8,2 Prozent, das sind zwar weniger als 2002, als die Grünen 8,6 Prozent erzielten. Aber das Ergebnis ist doch gut genug, dass die Spitzengrünen sich nicht als Wahlverlierer, sondern als würdevolle Opfer der Neuwahlentscheidung des Kanzlers inszenieren könnten. Tenor: Sie hätten ja bis 2006 gewartet, dass die Wirtschaftsdaten sich bessern. Aber Gerhard Schröder hat anders entschieden und den Grünen die disziplinierte Regierungsmitarbeit nicht entlohnt.

„Es wird kein Massaker geben“, hat ein noch junger Führungsgrüner für die Wochen nach der Wahl und für den Oppositionsfall prognostiziert. Führungspersonal werde bei den Grünen nicht mehr gedemütigt. Einen Kampf um die Fraktionshoheit wird es jedoch geben – nicht so aggressiv, dass die alten Spitzengrünen nicht auch die neuen bleiben dürften. Fischer könnte mit Künast den Fraktionsdoppelvorsitz übernehmen. Die war schon am Freitag zur „Spitzenkandidatin der Herzen“ ausgerufen worden.

Nur geringe Chancen für diesen Job wurden zuletzt der Spitzengrünen aus Nordrhein-Westfalen, Bärbel Höhn, nachgesagt. In jedem Fall wird es, wenn die Grünen tatsächlich in die Opposition gehen, an der Frau neben Joschka Fischer liegen, die Partei und die Fraktion fit für eine Zukunft nach Schwarz-Rot oder irgendeiner anderen grünenfreien Koalition zu machen. Ohne Gejammere über die gute, alte Regierungszeit. Jenseits von Joschka, irgendwann.