Das Jahr, in dem die Stimme brach

Lo-Fi-Pop Boiband widmen sich auf ihrem ersten Album, „The Year I Broke My Voice“, Transidentität und queerem Aktivismus

Es hat dann doch nur einer von der Berliner Boiband zur vereinbarten Verabredung im Südblock Kreuzberg geschafft. Hans Unstern ist erkältet, Black Cracker hat es schwer am Rücken, nur Tucké Royale ist einigermaßen auf dem Damm, obwohl auch er leicht vor sich hinhustet. Eben erst mussten die drei sogar einen Auftritt in Augsburg absagen, ihr Konzert im Rahmen des Festivals Pop-Kultur aber, da ist sich Tucké Royale sicher, werde stattfinden.

Die Boiband gibt es erst seit gut eineinhalb Jahren, die Berliner Morgenpost nennt sie jedoch bereits eine „Queer-Supergroup“. Und tatsächlich: Alle drei Musiker haben sich bereits unter ihren eigenen Namen Karrieren aufgebaut; ihren Zusammenschluss als Supergroup zu bezeichnen, ist deswegen durchaus statthaft. Hans Unstern hat zwei ziemlich sperrige Soloplatten voller bizarrer Selbstspiegelungen veröffentlicht, Black Cracker hat sich als HipHop-Produzent und als Beatboxer für die New Yorker Band CocoRosie einen Namen gemacht und Tucké Royale als Performer und Puppenspieler. Und alle drei verstehen sich tatsächlich dezidiert als queer. Unstern hat einen Vollbart und läuft gerne in Frauenklamotten herum, Black Cracker nennt sich selbst jemanden mit „Trans-Hintergrund“, und Tucké Royale hat sich als Selbstzuschreibung „humanoider Pseudohermaphrodit“ ausgedacht.

Was auch immer Letzteres genau sein mag, im Südblock Kreuzberg sitzt einem mit Tucké Royale vor allem ein junger Mann mit Stoppelbart gegenüber, der am liebsten über die Musik reden möchte, die er zusammen mit seinen Freunden zur nun erscheinenden ersten gemeinsamen Platte zusammengeschraubt hat. Die Platte ist unter eigentümlichen Bedingungen entstanden. Die Band trat vor einem Jahr mehrfach im Maxim Gorki Theater auf, wo Tucké Royale auch seine Puppenspiele zeigt, sein nächstes, das er als „jüdisch-queeres Rachemusical“ ankündigt, Ende Oktober. Die Maxim-Gorki-­Theater-Events waren ein Mix aus Performance und Konzert, bei dem man einer Band im Werden zusehen konnte. „Um auf der Bühne dann auch wirklich Musik aufzuführen, brauchten wir ja wenigstens elf Songs“, sagt Tucké Royale. Die sind im Rahmen des ­Theater-Engagements entstanden und nun auch auf dem Album der ­Boiband mit dem Titel „The Year I Broke My Voice“ zu hören.

Tucké Royale spielt auf dem Album Schlagzeug und singt abwechselnd oder gemeinsam mit Hans Unstern, der von der Gitarre bis hin zu seinen selbst gebastelten Harfen alles Mögliche bearbeitet. Black Cracker hat arrangiert und diverse elektronische Beats unter den schrägen Lo-Fi-Pop der beiden anderen gemischt. Tucké Royale findet, dank Black Cracker habe ihr Album auch einen HipHop-Einschlag. Wenn man entgegnet, dass man den so gar nicht hören würde, schaut er leicht enttäuscht, lässt den Einwand aber gelten.

„Das Queer- und Trans-Thema soll gar nicht so stark in den Vordergrund treten bei uns“, sagt Royale. Und doch stößt man bei „The Year I Broke My Voice“ an allen Ecken und Enden auf dieses. Der Titel der Platte spielt natürlich an auf die tiefere Stimme, die man bei einer Geschlechtsanpassung durch eine Hormonbehandlung bekommt. Die Songtitel sind Wortspiele mit Begriffen aus dem Gender-Einmaleins, heißen etwa „Herosexual“, „Boitch“ oder „Butchery“ und in „Butch Stone“ werden die Vornamen einer ganzen Reihe von Queer-Aktivisten nicht nur angerufen, sondern beinahe schon beschworen.

Doch es geht Tucké Royale eben darum zu betonen, dass man mehr sein will als eine queere Band für ein queeres Publikum, man möchte vielmehr alle erreichen, „als Band, die einfach gute Musik macht“.Andreas Hartmann

Boiband: „The Year I Broke My Voice“ (Staatsakt)

25. 8. beim Festival Pop-Kultur, ab 22 Uhr