Augenzeugen Es hätte jeden treffen können. Stimmen und Eindrücke von denen, die dem Terror entkommen sind. Die Regisseurin, die Touristen, die Krankenschwester aus dem Nachbarort
: Las Ramblas, Donnerstag, 17 Uhr

Bilder eines Nachmittags: Die Ramblas sind leer, Ermittler übernehmen Foto: Hugo Fernandez/imago

Der Lieferwagen, Werkzeug des Anschlags in Barcelona Foto: imago

Passanten suchen Schutz in einem Modegeschäft Foto: Manu Fernandez/ap

Alle weg, alle weg. Ein Polizist sperrt das Gebiet um die Ramblas ab Foto: Manu Fernandez/ap

Diese seltsame Stille

Wir wussten, dass sich so ein Anschlag eines Tages auch bei uns würde ereignen können. Aber man weiß nicht, wann es so weit ist. Es trifft Dich unvorbereitet, deshalb herrschte in den ersten Minuten große Verwirrung in der Stadt.

Dass etwas passiert war, erfuhr ich durch Kurznachrichten von Freunden, die in der Nähe der Ramblas wohnen. Ein Lieferwagen sei dort durch die Menschenmenge gerast. Ich ging auf die Straße im Poble Sec, dem Viertel, in dem ich wohne, nicht weit entfernt von den Ramblas, um zu sehen, was passiert war. Aber alles, was ich erfuhr, lief über WhatsApp; mein Telefon rauchte förmlich, ständig trafen Nachrichten ein mit den schrecklichsten Videos. Im Razzmatazz, dem Club, in dem ich arbeite, mussten wir eine riesige Homoparty absagen, 3.000 Leute wären gekommen. Auch andere Clubs schlossen, genauso wie die Bars und Restaurants im Zentrum. Eine seltsame Stille legte sich über die Stadt.

Am nächsten Tag saß ich in der Metro, durch die Stationen Plaça de Catalunya und Liceu, direkt unter den Ramblas, fuhr sie hindurch, und ich sah, wie die Menschen weinten. Ich wollte zu der Mahnwache auf dem Platz, zum Gedenken an die Opfer des Anschlags am Freitag um 12 Uhr mittags. So viele Menschen an einem Wochentag habe ich dort noch nie erlebt. Sie sind spontan gekommen – in die Mitte unserer Stadt. Und dann riefen sie: „No tinc por! No tinc por!“ – „Ich habe keine Angst“ auf Katalanisch.

Javier Estalella

Der Autor lebt in Barcelona und arbeitet im Club Razzmatazz.

Der letzte Abend

Es ist Donnerstag, etwa 17 Uhr, der letzte Abend der Barcelona-Reise steht an. Eine Woche Städtereise mit einem Freund liegen hinter mir. Wir holen uns Tacos an der Rambla del Raval, als plötzlich ein großes Polizeiaufgebot den Platz beherrscht. Sie haben Maschinengewehre im Anschlag und rennen nervös über den Platz. Die Taco-Verkäuferin bittet uns nach drinnen, „Danger“, sagt sie.

Per Push-Nachricht kommt die Aufklärung, Anschlag in Barcelona! Wir beobachten die skurrile Situation, schwer bewaffnete Polizisten in schusssicheren Westen überqueren den Platz, dann sind sie verschwunden, nur an den Zufahrtstraßen stehen Posten. Alle größeren Plätze werden offenbar abgesperrt, noch ist unklar, welchen Hintergrund die Tat hatte. Mehrere Tote? Verletzte? Terror? Alles „unbestätigt“ und mit Vorsicht zu genießen. Uns wird klar, dass wir uns weniger als 500 Meter von dem Anschlagsziel entfernt aufhalten.

Wir haben für unsere letzte Nacht zum Glück ein Hotel am Rande Barcelonas, bis dato bewegten wir uns nur wenige hundert Meter entfernt des Schreckensorts. Im Taxi dorthin werden wir vom Fahrer weiter aufgeklärt, was passiert ist.

Es ist schwer, das Unbegreifliche greifbar zu machen, zu verstehen, was hier gerade passiert. Plötzlich waren wir mittendrin, Teil der Nachrichten. Angst war gar nicht das bestimmende Gefühl, eher Desorientierung und Ohnmacht. Daniel Seitz

Der Autor ist Medienpädagoge. Er war bei einer Städtereise in Barcelona.

Breite Straßen meiden

Ich war einkaufen. Es war gegen 17 Uhr. Ich war gerade in einer Parallelstraße von Las Ramblas unterwegs. Plötzlich hörte ich eine Polizeisirene, ein Streifenwagen raste vorbei. Menschen blieben stehen und schauten. Aber wir wussten nicht, was los war. Ich ging in ein Geschäft. Plötzlich rannten von überall her Menschen herbei und strömten in den Laden. Das Sicherheitspersonal schloss die Türen. Erste Gerüchte, ein Lieferwagen sei in eine Menschenmenge gerast. Über das Internet bestätigten sich die Gerüchte. Als sie uns wieder rausließen, so etwa zwanzig Minuten später, waren ganzen Straßen leer, und überall war Polizei. Zwei Polizisten begleiteten mich hinaus hinter den Absperrgürtel. Sie sagten uns, wir sollten breite offene Straßen meiden und so schnell wie möglich einen sicheren Ort suchen. Panik, überall Menschen, die rannten, Angst. Ich ging in eine Bar und wartete dort ein ganze Zeit lang, bevor ich nach Hause fuhr. Überall in den Geschäften und Kneipen sah ich Menschen mit ängstlichem Blick. Nationalpolizei mit Maschinengewehren zog auf.Irene Calabrés

Die Autorin, 24, ist Krankenschwester und wohnt in Hospitalet de Llobregat, einem Vorort Barcelonas.

Zufälle des Lebens

Wir sind gerade in den Ferien in den Pyrenäen, ruhig ist es dort. Wir wollten uns Barcelona ansehen, ein Ausflug in die Stadt. Am Donnerstag fuhren wir hin, waren zum Zeitpunkt des Anschlags nur wenige Meter von den Ramblas entfernt, ungefähr auf halber Strecke dessen, was der Lieferwagen zurückgelegt hat. Wir hatten viel Glück. Denn wir blieben bei einem Geschäft stehen und schauten uns die Auslagen an. Das hat uns gerettet. Zufälle des Lebens.

Plötzlich hörten wir dumpfe Schläge. Wir dachten es wären Schüsse. Später erklärte die Polizei, dass es keine Schüsse gegeben hat. Dann waren es wohl die Aufschläge des Lieferwagens auf Personen. Plötzlich kam eine riesige Menschenmenge von den Ramblas angerannt. Auch wir rannten. Panik. Keiner wusste, was los war. Einige flohen in Geschäfte, andere, auch wir rannten weiter, bis wir weit weg von den Ramblas waren. Erst im Auto erfuhren wir durch das Radio, was genau los war. Toni Baos

Der Autor, 45, ist Lehrer. Er lebt auf den Balearen und war mit seiner Frau und zwei Kindern auf einer Seitenstraße der Ramblas unterwegs. Sie waren auf einem Stadtausflug während ihres Urlaubs in den Pyrenäen.

„Ich werde Blumen kaufen“

Es gab viele Gerüchte seit letztem Sommer, dass auch hier ein solcher Anschlag geschehen könnte. Ich erinnere mich an die Terrorattacke in Nizza vom Juli 2016, damals dachte ich: Genau so etwas könnte auch hier in Barcelona passieren, auf den Ramblas. Denn das ist ein strategischer Punkt in der Stadt, immer voller Menschen, sowohl Touristen als auch Einheimischen. Es ist schockierend, diesen Ort, den ich so oft besucht habe, nun mit Blut und toten Körpern bedeckt zu sehen.

Gleichzeitig habe ich mich diesen Morgen entschieden: Ich werden zu Las Ramblas gehen, ich werde Blumen an den Blumenständen kaufen, und ich werde auf dem Markt La ­Boquería Fisch einkaufen. Die einzige Waffe, die wir gegen Terror haben, ist: keinen Terror zu fühlen. Das ist genau das, was ich tun werde. Isabel Coixet

Die Autorin gilt als eine der produktivsten Regisseurinnen Spaniens und wurde mehrfach mit dem spanischen Filmpreis Goya ausgezeichnet. Sie ist in Barcelona geboren, lebt dort noch immer und war am Abend des Anschlags in der Stadt.

Redaktion und Übersetzung

Reiner Wandler, Malte Göbel,

Felix Zimmermann