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„Sie wollten gesehen werden“

@JA SIE SIND RASSIST Nach dem Aufmarsch der Rechtsextremen in Charlottesville outet ein Twitter-Aktivist die Teilnehmer. Den Vorwurf, er fordere zu Denunziationen auf, weist er weit von sich

AUS NEW YORK Dorothea Hahn

Die Großaufnahmen von wütenden jungen Männern mit Nazi-Symbolen, zum Hitlergruß erhobenen Händen und brennenden Fackeln sind durch die Medien der Welt gegangen. Die kleine Stadt Charlottesville in Virginia hatten diese Männer in Angst und Schrecken versetzt. Seit ihre Bilder auf dem Twitterprofil @YesYoureRacist stehen, bekommen einige der Fackelträger die Konsequenzen im eigenen Leben zu spüren.

Logan Smith, ein Aktivist, der hinter dem Profil steht, hat sich darauf spezialisiert, Nazis und andere Rassisten zu outen. „Doxxing“ wird diese Methode der Veröffentlichung persönlicher Daten im Internet genannt. „Gebt mir ihre Namen und ich mache sie berühmt“, lautet sein Slogan. Seit dem Unite-the-Right-Aufmarsch ist die Zahl seiner Follower von 60.000 auf fast 400.000 in die Höhe geschnellt. Mehrfach täglich veröffentlicht Logan Smith jetzt Namen und Details über Männer, die in Charlottesville waren, oft verbunden mit ihren Telefonnummern und manchmal auch mit denen ihrer Arbeitgeber.

Der Vater distanziert sich öffentlich vom Sohn

Anschließend beginnen die Follower individuelle Kampagnen gegen die Fackelträger. Binnen vier Tagen haben sie so dafür gesorgt, dass Karrieren endeten – und durch so manche Familie ein tiefer Riss geht.

In North Dakota schrieb ein Vater in einem öffentlichen Brief an die Zeitung The Forum: „Mein Sohn ist nicht länger bei uns willkommen.“ Er begründete seine öffentliche Zurückweisung mit den „niederträchtigen, hasserfüllten und rassistischen Worten und Taten“ seines jüngsten Kindes Peter und mit der Pflicht, historische Lehren zu beherzigen: Das „Schweigen der anständigen Menschen“ habe den Aufstieg der Nazis in Deutschland ermöglicht.

#YesYoureRacist hatte Peter Tefft als „diesen charmanten Nazi“ beschrieben und einen Link zu einem Video gesetzt, in dem dieser gegen Juden, Afroamerikaner und Frauen hetzt. Im Oktober will der 30-jährige Tefft in Fargo eine Konferenz über die „Bürgerrechte von Weißen“ organisieren. Der Vater schrieb, er hoffe immer noch, dass sein Junge auf den Pfad der Tugend zurückkehrt. Andernfalls müsse der Sohn „auch unsere Körper in den Ofen schaufeln“.

Im nordwestlichen Bundesstaat Washington traf das Outing den Chef der College-Republikaner an der WSU-Universität. James Allsup musste von seiner Position an der Spitze der Republikaner zurücktreten; die Universität ging öffentlich auf Distanz; und eine republikanische Kongressabgeordnete, die auf einem Gruppenbild mit ihm zu sehen ist, versicherte, dass sie ihn nicht kenne. In Charlottesville hatte Allsop das Wort „Pussies“ (Mösen/Weichlinge) für Frauen benutzt und Gegendemonstranten zugerufen: „Ihr verdammten Verlierer und Kommunisten. Verschwindet aus unserem Land!“

In Nevada versuchte Peter Cvjetanovic die Flucht nach vorn, nachdem er mit einem Bild geoutet wurde, das ihn mit weit aufgerissenem Mund und Fackel zeigt. Eine Petition für seinen Ausschluss von der Universität Reno bekam binnen weniger Stunden Tausende Unterschriften. Cvjetanovic ging zum Fernsehsender KTVN und erklärte, er sei nicht der „wütende Rassist“, als der er auf dem Foto erscheine. Er sorge sich nur um die Zukunft der „weißen, europäischen Kultur“ in den USA. Dieses „weiße Erbe“ wolle er retten. Der republikanische Senator aus Nevada, Dean Heller, mit dem sich Cvjetanovic hatte fotografieren lassen, fühlte sich genötigt, per Twitter den „empörenden Rassismus“ zu verurteilen, und versicherte, dass er „diese Person“ nicht kenne.

Im kalifornischen Berkeley heftete der Fast-Food-Laden „Top Dog“ bereits am Sonntag ein Schild an seine Fassade. Aufschrift: „Cole White arbeitet hier nicht mehr.“ Kunden hatten Whites’ Arbeitgeber gedrängt, ihn zu entlassen; die Restaurantkritiken auf Yelp füllten sich mit Kommentaren über den rassistischen Angestellten. „Wir respektieren die Meinungen unserer Beschäftigten“, erklärte der Arbeitgeber, „aber sie müssen die Verantwortung für ihre Taten übernehmen.“

„Blame and Shame“ – rügen und beschämen – heißt die Taktik, mit der die Nazis gejagt werden.

Den Vorwurf, er fordere zu Denunziationen auf, weist Gründer Smitz weit von sich. „Sie haben ihre Kapuzen abgezogen“, erklärte er im Fernsehsender CNN. „Sie wollen gesehen werden.“ Sein eigenes Engagement begründet er damit, dass Weiße in den USA eine besondere Verantwortung hätten, gegen Rassismus vorzugehen.

Allerdings traf das Outing in mindestens einem Fall daneben: In Arkansas hatte der Dozent an einem Institut für Ingenieurswissenschaften, Kyle Quinn, beim Abendessen gesessen, während die Fackelträger durch das 1.600 Kilometer entfernte Charlottesville marschierten. Sein Pech war es, dass er einem der Fackelträger entfernt ähnlich sieht – und fälschlicherweise als „Nazi“ geoutet wurde.

Öffentlich bloßstellen

Doxxing: Wer sich etwas im Internet auskennt, kann mit der passenden Software, Hacking-Methoden und „Schwarmintelligenz“ enorm viel über die meisten Bürger herausfinden – aus allgemein zugänglichen Quellen ebenso wie aus privaten. Das geschieht in den USA ebenso wie andernorts.

Menschenfleisch: Die Motive sind ganz unterschiedlich. In China haben Aktivisten schon vor Jahren zur „Menschenfleisch“-Jagd auf korrupte Funktionäre aufgerufen, die mit Luxusuhren gesehen wurden. Bürgerrechtler und Tibet-Demonstranten wurden als „Verräter“ geoutet und bedroht.

Firmen beugen sichdem Druck ihrer Kunden

Direkt danach erhielten der Gouverneur von Arkansas und die Universität Aufrufe, den Dozenten zu entlassen. Er selbst wurde so massiv bedroht, dass er sich mit seiner Frau zu Freunden flüchtete.

Während @YesYoureRacist sich auf individuelles Outing konzentriert, beugen sich Tech-Unternehmen zunehmend dem Druck von „Blame and Shame“ und den Aufrufen zum Boykott. Anfang der Woche warfen die Internet-Anbieter GoDaddy und Google die Neonazi-Webseite The Daily Stormer aus ihren Portalen. Die Webseite führt seither ein Schattendasein – ohne Verlinkung und benutzerfreundliche Oberfläche. Inzwischen hat Airbnb Profile von Neonazis gelöscht, und Facebook ließ die Aufrufe zu Unite-the-Right verschwinden.

Am Dienstagabend geriet der Outing-Aktivist selbst in das Visier eines Tech-Unternehmens. Die Webseite Patreon, auf der Smith bislang Spenden sammelte, entfernte sein Profil. Nach langer Zeit hat sie entdeckt, dass sein Profil nicht ihren „Community-Regeln“ entspricht.

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