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Muss ein schlimmer, heruntergekommener Ort sein, dieses K.Das Konzert des Mannes mit nur einem Zahn

Ausgehen und Rumstehen

von René Hamann

Der Mann mit dem einen Zahn war zu Besuch. Normalerweise wohnt er in einem Problemviertel in einer mittelgroßen deutschen Stadt irgendwo im Südwesten; jetzt war er da, um durch Flohmarktstände nach Platten zu stöbern und ein kleines Konzert vor zehn zahlenden Gästen in einem Laden zu spielen, der „Rock“ heißt oder „Twist“ oder so. „Twist“ ist übrigens ein sehr guter Name für einen Laden, finde ich.

Im „Twist“ jedoch musste er hinter verschlossenen Türen spielen und – man glaubt es nicht – schon ab 18 Uhr, weil das Ordnungsamt hohe Auflagen erteilt hatte. Da kamen dann so einige Stargäste, die früher einmal in furchtbar wichtigen Gruppen waren, die stilprägend für das ganze Genre (Twist eben, oder war es doch Electroboogie oder E-Swing?) gewesen sind, eben leider gar nicht mehr rein. Echt doof war das.

Vielleicht ging die Geschichte auch ein bisschen anders, aber die wesentlichen Elemente stimmen. Es war ein verregneter Samstagabend in Berlin, und eigentlich hatte ich gar nicht mehr groß ausgehen wollen. Aber das hatte ich auch schon Donnerstag und Freitag nicht gemacht, also ausgehen, dabei sollte es doch in dieser Kolumne genau darum gehen, um das Ausgehen nämlich, und schon wieder eine Ausgehen-Kolumne darüber, wie man eben nicht ausgeht, will doch keiner mehr lesen. Also doch raus, Niesel- oder Stark­regen zum Trotz. In der Lieblingsbar, die sich mittlerweile in einer sich schneckenartig bewegenden Großbaustelle befindet – irgendwie wird die Kanalisation gentrifizierungstauglich gemacht – war nicht viel los. Der Barkeeper hatte sogar Zeit für ein kleines Schwätzchen und erzählte von einem Theater in einer mittelgroßen deutschen Stadt im Südwesten, in dem es dermaßen drunter und drüber gehen soll, dass nur noch makabrer Humor helfen würde. Auf meinen Hinweis, dass man sich so etwas von den meisten Theatern erzähle, sagte er, dass das in K. aber wirklich besonders schlimm sei. Da zu arbeiten könne er wirklich niemandem empfehlen.

Als dann meine Abendbegleitung und seine beiden Bekannten samt dem Mann mit dem einen Zahn erschienen, war relativ schnell klar, dass man die Lokalität wechselt, schließlich wollte man noch irgendwas sehen. Der Mann mit dem einen Zahn erzählte, wie vor seiner Haustür im Problemviertel von K. einmal eine Messerstecherei mit tödlichem Ausgang stattfand, was leider die dreijährige Tochter aus dem offenen Fenster mitansehen musste. Scheint ein schlimmer, heruntergekommener Ort zu sein, dieses K.

Wir zogen dann in die Lieblingsgroßraumbar der neu zugezogenen Großstadtjugend um, aber die war dann schon gerammelt voll und bietet eh eine Akustik, die tiefschürfende Gespräche eher schwierig macht. Der Mann mit dem einen Zahn (natürlich hat er weitaus mehrere davon, in dieser Kolumne wird alles ein wenig übertrieben) erzählte dann von Mark E. Smith, Sänger der Band The Fall, und dass die Ehe mit seiner deutsch-griechischen Frau wohl gescheitert sei. Lustigerweise hätte er besagte Noch­ehefrau kürzlich fast getroffen. Dass ich diese Exfrau in spe aus anderen Zusammenhängen ebenfalls kenne, konnte ich gar nicht mehr unterbringen, da es auf dem Weg von der Bar in eine andere gleich um ganz andere Namen gegangen war – die in noch anderen Gesprächen am nächsten Tag wiederauftauchten, es war das Wochenende der Doppelungen. Brezel Göring zum Beispiel, der Gitarrist von Stereo Total, sei wohl auch auf dem Konzert im „Rock“ oder „Twist“ gewesen; der Bruder der gemeinsamen Bekannten – ach egal – hieß witzigerweise aber tatsächlich Göring, obwohl er einen halb jüdisch-indischen Hintergrund hatte und sich aus politischen Gründen dann für den jüdischen Namen seiner Mutter entschied. Was wohl einen Haufen Geld kostet. So eine Namensänderung. Brezel Göring indes hatte sich ja den Reichsmarschall als Künstlernamen zugelegt; Punk eben. (Oder hieß der Laden vielleicht so: „Punk“? Keine Ahnung, es wurde ja viel erzählt an diesem Wochenende.)

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