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Die Utopie von einem besonnenen Nichtstun

Performance Mit insgesamt 80 Performern fantasiert Alexandra Pirici im Neuen Berliner Kunstverein das Gynozän herbei

Die elegant übereinandergefalteten Hände, das ruhige Lächeln, der zum Hauptprofil geneigte Kopf – das könnte da Vincis Mona Lisa sein. Oder ist es doch Lisa Mona, die der kubanische Maler Wifredo Lams als kubistische Antwort auf da Vincis unbekannte Schönheit zum Leben erweckte?

Bei den Performances von Alexandra Pirici fühlt man sich irgendwann unweigerlich so, als würde man Scharade spielen. Die rumänische Künstlerin lässt ihre Performer Kunstwerke, Geräusche, Schlagzeilen und Naturgewalten nachbilden – und verlässt sich dabei ausschließlich auf deren Körper als individuelle, organische Bausteine. Zur 55. Biennale in Venedig schuf sie so eine Retrospektive aller Werke, die jemals auf der Kunstschau zu sehen waren, und auf der Berlin Biennale letzten Jahres verwandelte sie virale Schlagzeilen in körperliche Aktionen.

Für ihre erste Einzelausstellung in Deutschland, im Neuen Berliner Kunstverein, hat sich Pirici nun ein noch ambitionierteres Projekt ausgedacht: Eine Gruppe aus über 80 PerformerInnen bildet eine temporäre Zeitkapsel, in der das Leben auf der Erde in all seinen Facetten festgehalten werden soll. Da gibt es Antilopenformationen und Aalkolonien, verschiedenste Kunstwerke von Michelangelos David bis hin zur Lisa Mona, Ausschnitte aus Balletten und Bollywood-Tanzfilmen und das unverwechselbar summend-ploppende Skype-Login-Geräusch.

Die Liste an Elementen hat Pirici selbst zusammengestellt, den Performern wurde vorab die Möglichkeit geboten, eigene Vorschläge mit einzubringen. Vertreten sind Personen aller Altersgruppen und Körpertypen, professionelle Tänzer und Sänger sind ebenso dabei wie Laiendarsteller. Jeder von ihnen hat seine Kleidung selbst ausgewählt, und jeder von ihnen übersetzt die Elemente der Zeitkapsel in eine individuelle Formsprache. In Verbindung mit den entweder choral oder von Einzelpersonen vorgetragenen Texten – unter anderem Werken des politischen Spoken- Word-Künstlers Gil Scott-Heron und des antifaschistischen Dichters und Schriftstellers Pablo Neruda – wird „Aggregate“ zur gelebten Utopie.

Die Performance verkörpert die Ideale, denen Pirici sich in ihrem „Manifest für das Gynozän“ verschrieben hat. In dem kurzen Plädoyer fordert die Künstlerin eine Herrschaft der weiblichen Werte, die den Weg heraus aus dem selbstzerstörerischen Anthropozän bereiten soll. Und so steckt ihre Zeitkapsel voller Aufrufe zu besonnenem Nichtstun und pazifistischer Anprangerungen sozialer und ökologischer Ungerechtigkeit. Irgendwann bilden alle Performer gemeinsam ein Eckaggregat, sie legen sich eng nebeneinander und stimmen als geschlossene Einheit „Enjoy The Silence“ von Depesche Mode an.

Der Blick geht dabei in Richtung Publikum, und oft umspielt dabei ein Lächeln die singenden Lippen. „Wir wollten den Besuchern das Gefühl geben, willkommen zu sein“, erklärt Ariel Cohen, die als professionelle Tänzerin von Beginn des Projekts an dabei war. Sie erzählt von ungewöhnlich langen und berührenden Augenkontakten mit Besuchern, von den vielschichtigen sozialen Aspekten des Projekts.

Irgendwann unterbricht ein Mitarbeiter des Kunstvereins die Performance. „In fünf Minuten schließen wir“, sagt er und unterbricht damit Pablo Nerudas „Keeping Quiet“, einen Aufruf zu zwölf Sekunden Stille. Zögerlich verlassen die Besucherströme nach und nach die Kapsel. Die Performer bleiben zurück, sie sind gerade dabei, mit ihren Händen die Bewegungen des Meeres nachzuahmen.

Donna Schons

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