: Das kommt von Herzen
Ehrenamt Die ehrenamtlichen FlüchtlingshelferInnen stemmen auch heute noch einen Großteil der Arbeit. Meist hinter den Kulissen. Es sind Menschen wie die drei taz-KollegInnen, die hier zu Wort kommen. Und Menschen wie Mohammad, Omar Jabbar Omar oder Riyad Aledrise – sie sind selbst geflüchtet, haben hier Hilfe erfahren und helfen nun anderen Geflüchteten
Von Alke Wierth (Text) und William Minke (Fotos)
Am frühen Montagnachmittag ist es im Haus D noch ruhig. In dem gemütlichen Backsteingebäude auf dem ehemaligen Klinikgelände in Moabit betreibt die Flüchtlingshelferinitiative „Moabit hilft!“ ihre Kleiderkammer. Mohammad* fegt und wischt den Boden, Omar Jabbar Omar sortiert Spenden in Regale, Riyad Aledrise setzt Kaffee auf und übersetzt dabei Jobcenterformulare, die ein junger Besucher nicht versteht.
„Ich habe hier schon alles gemacht“, erzählt Aledrise später beim Kaffee: „Essen verteilt, Kleider ausgegeben, gedolmetscht, getröstet.“ Vor ziemlich genau zwei Jahren, im August 2015, ist er zu den ehrenamtlichen FlüchtlingshelferInnen von „Moabit hilft!“ gestoßen. „Ich hatte im Fernsehen gesehen, was hier am Lageso los war, dass Hilfe gebraucht wurde. Dann bin ich halt hergekommen – und seitdem bin ich hier.“
3.800 Flüchtlinge sind im ersten Halbjahr 2017 insgesamt nach Berlin gekommen, das sind etwa 630 Menschen pro Monat. So viele waren es im „Flüchtlingssommer“ 2015 manchmal pro Tag.
Als Hunderte teils wochenlang vor dem damals für die Registrierung und Versorgung Geflüchteter zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales – kurz: Lageso – in der Moabiter Turmstraße warteten, teils kampierten, weil das Amt der Aufnahme der Menschen nicht mehr nachkam, rief der Verein „Moabit hilft!“ per Facebook zur Unterstützung der Wartenden auf. „Dort liegen Hunderte Menschen auf dünnen Tüchern, Pappen, verteilt auf dem Gelände, alte Menschen, Schwangere, Frauen mit Babys, Kleinkinder, Männer, Jugendliche, Familien“, hieß es dort. Und die Berliner halfen. Wochenlang versorgten Tausende Ehrenamtliche die Flüchtlinge mit Kleidung, Lebensmitteln, Getränken und privaten Unterkünften.
Vor einem Jahr übernahm das neu gegründete Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) die Zuständigkeit des Lageso. Etwa 27.000 Geflüchtete werden derzeit noch vom LAF betreut.
Gut 27.000 Menschen leben noch in Flüchtlingsheimen, 9.000 davon in Notunterkünften, die keine Kochmöglichkeiten und teils keine Privatsphäre bieten.
Immer noch helfen viele BerlinerInnen Geflüchteten etwa bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche oder beim Deutschlernen. Gelegenheit dazu findet sich etwa auf Facebook unter „Netzwerk Flüchtlinge Berlin hilft“. (taz)
Hunderte Flüchtlinge warteten in dem heißen Sommer täglich vor der Aufnahmestelle, die sich damals noch auf dem Gelände in Moabit befand, teils monatelang auf ihre Registrierung. Die Bilder der dürstenden, verschmutzten, teils verletzten Menschen, die das kollabierende Amt nicht versorgte, gingen um die Welt. Ehrenamtliche organisierten die Versorgung der Geflüchteten mit frischer Kleidung, Lebensmitteln und anfangs sogar Unterkünften (siehe Seite 45). Von Anfang an dabei: HelferInnen mit eigenem Migrationshintergrund.
Riyad Aledrise ist einer von ihnen, aber er ist ein besonderer Fall. Denn der 47-jährige Familienvater lebte bereits bis 2002 in Deutschland, wo er studierte und das erste seiner mittlerweile vier Kinder geboren wurde. Nach dem Abschluss des Studiums war er in seine Heimat Libyen zurückgekehrt. Als dort 2011 nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis ein Bürgerkrieg ausbrach, kam er mit seiner Familie wieder nach Deutschland – und beantragte Asyl. Doch sein Antrag wurde abgelehnt. Abgeschoben werden können Riyad Aledrise und seine Familie in das nach wie vor unsichere Libyen auch nicht: Sie sind damit das, was man „geduldet“ nennt.
Aledrise durfte deshalb zunächst keine Arbeit annehmen: „Ich hatte keine Perspektive, ich war depressiv“, erinnert sich der studierte Werkstoffingenieur. Die ehrenamtliche Mitarbeit bei „Moabit hilft!“ habe ihm da herausgeholfen: „Ich habe hier wieder zu mir gefunden“, sagt er in seinem nahezu perfektem Deutsch.
Ihm wurde Vertrauen entgegengebracht: Wie es ihn gefreut hat, als ihm von „Moabit hilft!“ ein Schlüssel für die damaligen Räume anvertraut wurde, daran erinnert der ruhige, ernste Mann sich noch heute: „Obwohl es doch auch viele Deutsche gab, denen sie ihn hätten geben können.“ Mittlerweile hat er eine bezahlte Stelle bei der Hilfsorganisation, die eine Arbeitserlaubnis für ihn erkämpfte. „Ich bin jetzt hier zu Hause“, sagt Aledrise – und meint auch Berlin.
Omar Jabbar Omar aus dem Irak war einer vor denen, die im Sommer 2015 vor dem Lageso warteten. Drei Monate dauerte es nach seiner Ankunft in Berlin, bis er in der überlasteten Behörde als Flüchtling registriert wurde. Tag für Tag wartete er damals auf der längst platt getretenen Wiese unter sengender Sonne darauf, dass endlich auch sein Name aufgerufen werden würde – betreut von den Ehrenamtlichen von „Moabit hilft!“. „Sie haben mir geholfen, jetzt helfe ich ihnen“, sagt der 26-Jährige, als sei das eine Selbstverständlichkeit.
Auch Mohammad macht keine große Sache aus seiner ehrenamtlichen Hilfe: „Das kommt aus meinem Herzen“, sagt der Syrer. Und schließlich hätte er auch etwas davon: „Ich komme aus meiner Wohnung raus, lerne Leute kennen – und ich habe keinen Sprachkurs zum Deutschlernen gebraucht!“ Wenn er nicht in Haus D helfen würde, begleite er andere Geflüchtete zu Behördengängen oder Arztbesuchen, erzählt Mohammad. Als Nächstes will der 26-Jährige, seit eineinhalb Jahren in Deutschland, den B2-Sprachtest ablegen, der von den meisten Arbeitgebern als Voraussetzung für die Aufnahme einer Arbeit angesehen wird. Dann will er sich eine Lehrstelle suchen.
Deutsch habe er vor allem hier bei „Moabit hilft!“ gelernt, sagt auch Omar. Auch ihm steht die B2-Prüfung bevor. Einen Ausbildungsplatz hat er schon: Gas- und Wasserinstallateur will er werden. Die Stelle zu finden, dabei haben ihm die Ehrenamtlichen geholfen. „Berlin ist so wunderbar“, strahlt er. „Ich bin sehr glücklich hier.“
*Mohammad will seinen Nachnamen nicht veröffentlichen.
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