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Ein See, der wieder lebt

Dümmer See Der Tourismus am zweitgrößten See Niedersachsens hat erst unter Blaualgen gelitten, dann unter den Berichten der Medien. Heute ist Umweltschutz fester Bestandteil der Tourismuskonzepte geworden – und dem See geht es besser

Wieder weitgehend sauber: der Dümmer im Südwesten Niedersachsens Foto: Friso Gentsch/dpa

von Merle Peukert

Ein einzelner Fischkadaver liegt dann doch am Strand. Gefunden hat ihn Colliehündin Marla. Den Namen kennen inzwischen auch die Segler weiter draußen, weil ihr Frauchen sie zunehmend energischer über den Deich hinweg anschreit: „Marla! Aus! Da ist bah!“ Und nachdem Marla widerwillig pariert und sich abführen lässt, fachsimpeln die Spaziergänger drumherum noch eine Weile, ob es sich bei dem verwesenden Brocken nun um eine Brasse handelt oder um einen Karpfen.

Sicher ist immerhin: Es ist nur einer. Und das zählt auf einer Tour um den Dümmer als gute Nachricht. Immer wieder hat es hier in den vergangenen Jahre große Fischsterben gegeben. Die Nachricht von Tonnen toter Tiere in Hafenbecken und Buchten haben ihren Weg über die Lokalpresse ins Internet gefunden – und den Ruf von Niedersachsens zweitgrößtem Binnensee nachhaltig gestört.

So nachhaltig, dass nur ein paar Jahre nach den erbitterten Kämpfen um politische Aufmerksamkeit heute kaum noch jemand darüber sprechen möchte. Denn tatsächlich: Absterbende Blaualgen stinken zwar entsetzlich – und niemand schaut sich gern verendende Fische an –, doch zumindest wirtschaftlich dürften die infolge von Presseberichten ausbleibenden Urlauber noch größeren Schaden angerichtet haben. Selbst wenn es mal weniger stinkt: Die als Blaualgen bekannten Cyanobakterien können beim Menschen immerhin Hautreizungen, Durchfall oder allergische Reaktionen verursachen.

Einer, der sich von den Schreckensmeldungen nicht abschrecken ließ, ist Thorsten Kastrup aus dem Westfälischen. Früher kam er als Camper zum Segeln, im bislang schlimmsten Blaualgensommer von 2011 ist er ins Wochenendhaus seiner Schwester umgezogen und zieht seitdem mit einem Fotoapparat um den See. „Ich habe schon überlegt, es nach all den Jahren zu lassen“, sagt er und deutet vage in Richtung See. „Aber gut, dass ich geblieben bin.“ Den Dümmer, sagt er, habe er an Land von einer ganz neuen Seite kennengelernt. Den Wassersport hat er inzwischen ganz bleiben lassen, heute fotografiert er die Natur. Zugvögel etwa, die in den Dümmerniederungen Station machen.

Ein Zufall ist Kastrups Sinneswandel sicher nicht. Im Zuge der Dümmersanierung sind auch Umweltschutz und Tourismus wieder enger zusammengerückt. Die alten Aussichtsplattformen wurden aufgehübscht, das Dümmermuseum modernisiert und in ehemals toten Ecken am See führen heute breite Stege mit Infotafeln ins Schilf. Und obwohl der See mit seinen knapp 14 Quadratkilometern gar nicht so riesig ist, findet das alles irgendwie seinen Platz: vom ruhigen Norden, wo zwischen Bauernhöfen eine kleine Ferienhaussiedlung steht, über das Naturschutzgebiet im Südwesten bis nach Hüde und Lembruch im Osten, wo Badestrände und auch die meisten Häfen liegen.

Das hat ein maritimes Flair, das einen hier doch eher unerwartet trifft: Da fährt man eine halbe Stunde entlang indus­trialisierter Bauernhöfe durch die immergleichen Raps- und Maisfelder übers platte Land – und steht plötzlich auf so einer Wirtschaftswunderstrandpromenade. Mit kleinen Yachtklubs, Eis am Stiel, Tretbootverleih – und großen Ferngläsern, durch die sich für 50 Cent das gegenüberliegende Ufer betrachten lässt. Und jetzt in der Saison, zumal am Wochenende, ist es hier brechend voll. Badegäste aus dem Umland strömen vom Parkplatz zum Ufer, Camper und „Wochenendler“ in die Res­taurants – und Radfahrer kreisen auf zahlreichen Nah- und Fernrouten um den See oder verbringen hier ein paar Tage in der Pension.

Und auch wenn der internationale Massentourismus per Billigflieger natürlich auch dem Dümmertourismus geschadet hat: Bei Großevents wie dem paarundfünfzigsten Dümmerbrand-Feuerwerk am kommenden Wochenende werden auch in diesem Jahr wieder viele Tausend Besucher auf Stegen, Booten und am Ufer zwischen Pommesbuden und Zeltdisco in den Himmel starren und so ein bisschen gute alte Zeit feiern.

Vor der Strandbar im Karibiklook dümpeln Jugendliche. Es riecht nach Sonnencreme und Marihuana

Das geht übrigens auch heute: Vor der Strandbar im nachgebauten Karibiklook dümpeln Jugendliche im Schlauchboot Richtung Schilf. Es riecht nach Sonnencreme und ein bisschen nach Marihuana. Und wo die Sonne sich so langsam zum Horizont neigt, lässt sich gerade noch der letzte Surfkurs des Tages kreischend vom Brett ins Wasser fallen. Das heißt am Dümmer: höchstens bis zur Brust, denn tiefer als 1,50 Meter ist es hier nirgends.

Und wenn dann nachts am Hafen der Wind in die Wanten der Boote greift und die Stahlseile klimpern lässt – ja und wenn dann sogar Möwen kreischen – dann erinnert wirklich nicht mehr viel an das trockengelegte Moor drumherum, an die Diepholzer Tristesse und die Massenställe im benachbarten Vechta.

Naja, deren Gülle riecht man schon hin und wieder. Und da bekommt die gegenwärtige Ruhe dann doch einen kleinen Knacks. Denn auch wenn die Wasserqualität gerade gut ist und der Dümmertourismus sich die Umwelt auf die Fahnen geschrieben hat: Die nach wie vor überdüngten Felder um den See bieten die größte Nährstoffquelle für Blaualgen. Und seit Jahren diskutierte Gegenmaßnahmen scheitern regelmäßig entweder an der Finanzierung oder am Widerstand einzelner Interessensgruppen.

Immerhin den Bornbach hat man inzwischen umgeleitet. Der spült die zwischen den Feldern gesammelten Gülle nun erst hinter dem Dümmer in die Hunte.