: Landschaft und Technik
Amerika „Von Hopper bis Rothko. Amerikas Weg in die Moderne“: Das Museum Barberini in Potsdam erkundet das Bild Nordamerikas in der Frühzeit der industriellen Revolution. Es sind einige echte Entdeckungen dabei
von Tom Mustroph
Leinwand ist geduldig. Geduldiger als Fotopapier. Während Foto- und Filmdokumente aus der Zeit kurz vor und kurz nach dem Ersten Weltkrieg die großen Städte der Vereinigten Staaten von Nordamerika meist als Bühnen eines pulsierenden, sich geradezu überschlagenden Lebens inszenierten, strahlen die Arbeiten der Maler, die der Sammler Duncan Phillips seit 1921 für sein Washingtoner Museum zusammentrug, oft eine epische Ruhe aus.
Interessanterweise ist dieses epische Moment am deutlichsten, wenn nicht die reine, pure, unberührte Landschaft ins Bild gesetzt wird, sondern dann, wenn diese Szenerie „kontaminiert“ wird mit den Hervorbringungen des Menschen. Ernest Lawsons „Spring Night, Harlem River“ aus dem Jahr 1913 etwa lässt die Bögen der Brücke über den Harlem River zwischen Manhattan und der Bronx als flirrendes Lichtobjekt über dem träge dahin fließenden Wasser in den Himmel hineinragen. Auf beiden Uferseiten ist in wenigen Pinselstrichen eine ländliche Szenerie hingeworfen, die es bei der Fertigstellung des Werks noch gegeben haben mochte, die sich mit der städtischen Verdichtung unserer Tage aber kaum mehr in Übereinstimmung bringen lässt.
Lawson, ein Außenseiter und zeitweiliger Rebell, ist eine der Entdeckungen in der – auf bekanntere Namen verweisende – Schau „Von Hopper bis Rothko. Amerikas Weg in die Moderne“, die derzeit im Potsdamer Museum Barberini zu sehen ist. Der New Yorker Künstler, der 1939 im Meer ertrank, verknüpft die ruralen und die urbanen Aspekte Amerikas und operiert dabei mit Techniken, die er sich bei den europäischen Impressionisten abgeschaut hat.
Noch deutlicher wird der Eingriff des Menschen bei Rockwell Kents „Road Roller“. Unter einer dramatischen Wolkenkonstellation bahnt sich auf einer Schneelandschaft eine Mensch-Maschine-Tier-Hybride ihren Weg – eine Straßenwalze, die, von Pferden gezogen und von Menschen gesteuert, das Wegenetz bis in den hohen Norden Alaskas ausdehnt. Kent verwebt Motive von Wilderness, Industrialisierung und proletarischer Kraft miteinander. Dabei entsteht ein derartiger vorsozialistischer Realismus, dass es kaum wundert, dass der US-Künstler in späteren Jahren eine beachtliche Karriere in der Sowjetunion hinlegte. Er erhielt gar den dortigen Leninpreis.
In Duncan Phillips’ Sammlung stechen auch Positionen der Neuen Sachlichkeit heraus. Stefan Hirsch, 1899 in Nürnberg als Amerikaner geboren, beeindruckt mit seinen zweidimensional wirkenden Ansichten von Industriebauten und Bürotürmen. „New York, Lower Manhattan“ (1920/21) fasst die New Yorker Skyline als Klötzchengebirge, vor dem als schwarzes Band der die Insel umspülende Fluss platziert ist. Die Dynamik des fließenden Wassers kontrastiert auch in Hirschs „Mill Town“ (1925) mit der Rechtwinkligkeit der Fabrikbauten und deren Fensterbändern.
Eine gute Dekade nach Hirsch setzt Edward Bruce dem Wolkenkratzer-Manhattan einen göttlich erscheinenden Lichtkranz auf. Bruce war ein faszinierender Grenzgänger zwischen Kunst und Geschäft: Ihm gehörte eine Zeitung auf den Philippinen, er betrieb Überseehandel mit China, arbeitete später als Lobbyist für eine Zuckerfirma und leitete für Franklyn D. Roosevelt ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Künstler während des New Deal. Seine malerische Huldigung des Geschäftszentrums von Manhattan erfolgte 1933, mitten in der großen Depression.
Solche zeitgeschichtlich paradox wirkenden Arbeiten machen einen Reiz dieser Sammlung aus. Auch einzelne abstrakte Positionen, wie etwa Augustus Vincent Tacks Monumentalbild „Sehnsucht“, ein Flickenteppich aus blauen Fetzen, sind echte Entdeckungen. Dass die Kuratoren die sich verwebenden Strömungen von Impressionismus, Realismus und abstrakter Malerei aber als eine Art Höherentwicklung zu erzählen versuchen, irritiert etwas. Werke der berühmteren Künstler der Sammlung (Rothko, Hopper, Georgia O’Keeffe) wirken eher schwach.
Sammler Phillips gewährte „seinen“ Künstlern übrigens teilweise über Jahrzehnte hinweg monatliche Stipendien – eine tolle Transformation eines durch Eisen-, Stahl- und Bankgeschäfte geschaffenen Familienvermögens. Der Enkel eines Stahlmagnaten schuf hier sein eigenes Netz jenseits der Kunstmarktmechanismen.
Museum Barberini, Alter Markt, Potsdam, bis 3. Oktober
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