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: Im Zustand des Transits, Leben als Gleiten

„Die Geschwister“ (Deutschland 2016, Regie: Jan Krüger)

Thies (Vladimir Burlakov) ist ein Mann mit Macht. Besser, ein Mittelsmann mit ein bisschen Macht. Er arbeitet für eine Immobilienverwaltung in Berlin, ist derjenige, den die Menschen bei Wohnungsbesichtigungen je nach Verzweiflungsgrad heftig oder freundlich bedrängen. Vor allem in Neukölln, im alten Migranten- und neuen Hipsterberlin ist Wohnraum begehrt, also teuer und knapp, weshalb die Wohnungen, wenngleich im guten Fall Altbau mit Dielen, noch lange nicht toll sind.

Eines Tages im Altbau sind Sonja (Irina Potapenko) und Bruno (Julius Nitschkoff) unter denen, die suchen. Ein Paar, wie es aussieht, die Wohnung kriegen sie nicht. Ein paar Tage später beim Joggen begegnen sich Thies und Bruno zufällig wieder. Nicht so zufällig macht sich Bruno an Thies ran, der erst schon, dann sehr schnell der sexuellen Annäherung nicht mehr abgeneigt ist. Brunos Motiv scheint klar: Sex gegen Wohnung. Das klappt, aber so einfach ist es dann auch wieder nicht. „Die Geschwister“ ist ein Film, in dem manches opak bleibt. Jan Krüger (Drehbuch unter Mitarbeit der Schriftstellerin Anke Stelling) legt Fährten, aber sie führen durchaus präzise ins Ungefähre.

Er öffnet eher einen Raum und darin verschiedene Türen, durch die er Blicke erlaubt, aber sehr weit gehen die Geschichten dann nicht, bleiben Skizzen, erlauben etwas andere Blicke auf den Protagonisten, der in seiner Zerrissenheit – zwischen Job und Sex, zwischen Einlassen und Draußensein – sehr ungreifbar bleibt. Es ist, als ob ihm selbst die meisten Dinge, die er tut, unerklärlich blieben, eine Passivität, die der Film unterstreicht, indem er immer wieder für kurze Passagen alles stillstellt zu elektronischer Musik, zu quasidokumentarischen Bildern der Straßen des zeitgenössischen Berlin. Eine der Türen führt zur Geschichte von Marcos (Hilmi Sözer), einem Freund von Thies, der Möbel verkauft, eine andere zu einer Kollegin, die von Thies sichtlich was will, das er nicht von ihr will. Ein, zwei Schritte geht der Film in diese Richtung, aber eine Geschichte wird daraus nicht. Und noch eine Tür: Thies wird von linken Aktivisten bedrängt, Leuten ohne Papiere illegal Wohnraum zu beschaffen.

Aus der Sache mit Bruno und Sonja und Thies wird eher schon eine Geschichte. Bruno und Sonja, sagt Bruno, sind kein Paar, sondern Geschwister. Sie kommen, sagt er, aus Polen. Am einen hat Thies schnell berechtigte Zweifel, am anderen auch. Die Geschwister, die keine sind, ziehen gemeinsam und unter der Hand in eine leerstehende Wohnung, über die Thies als Verwalter verfügt. Das geht nur für eine befristete Zeit, die genaue Frist ist, was die Frist prekärer macht, unklar. Und es stellt sich heraus, dass Sonjas Lage noch viel prekärer ist: Sie ist nicht Polin, sondern Weißrussin und hat keine Aufenthaltsgenehmigung. Wie als Widerstandszeichen gegen die Frist kauft Bruno ein Aquarium und richtet es ein. Fauna, die Dauer will, gegen das Übergangsleben in der Übergangswohnung.

„Die Geschwister“ ist ein Film, der eine Konstellation kurz zusammenfügt und dann wieder auflöst – eine Dreierkonstellation, deren Kräfteverteilung sich in subtiler Weise ständig verschiebt. Ein Themenfilm, aber einer, der sein Thema in Intimbeziehungen durchspielt, und zwar so, dass das Prekäre alles durchdringt, der Zustand des Transits, den die Figuren nie hinter sich lassen: Leben als Gleiten, Bindungen, die vorübergehend entstehen, aber kaum Sicherheit geben. Und die Bindung von Bruno und Sonja, den Wahlgeschwistern, dagegen, die eine andere Form von Dauer besitzt. Festhalten kann der Films sie aber nicht. Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab rund 12 Euro im Handel erhältlich.