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Archiv-Artikel

Merkels vorhersehbare Misere: Keine Spur von weiblicher Solidarität

So erstaunlich es ist, dass gerade die Union eine Frau zur Kanzlerin machen wollte, so wenig überrascht, dass viele ihrer Wähler diesen Frauen-Vorfahrts-Kurs nicht mitmachen

BERLIN taz ■ Das Frausein – hat es Merkel geschadet? Ist es ein Handicap, das eine Kandidatin selbst im Jahr 2005 für ein Wahldebakel prädestiniert?

Seit Sonntag wissen die Meinungsforscher: Ihr Geschlecht hat Angela Merkel zumindest nicht genützt, die große Soliwelle von Frau zu Frau blieb aus. Wählerinnen votierten am Sonntag häufiger als die Männer für die SPD, verkündeten die Meinungsforscher von Infratest.

Doch damit nicht genug. Ihr Frausein dürfte sogar mitverantwortlich sein für Merkels Misere. Zwar zitierte Infratest gestern eine Umfrage, wonach das Gros der Deutschen einer Frau den Kanzlerposten zutraut. Doch hier ist Skepsis geboten. Kaum jemand gibt heute offen zu, Vorbehalte gegen eine Frau in Spitzenpositionen zu haben. Das heißt aber nicht, dass diese nicht existieren. Eine Kanzlerin Merkel verlangt ihrer Klientel ein hohes Maß an Modernität ab. Gerade eine Wählerschaft, die stärker als das rot-grüne Milieu in traditionellen Rollenmustern verhaftet ist, sollte eine Frau ins höchste Amt heben. So erstaunlich es ist, dass gerade die Union einer Frau eine solche Karriere ermöglichte – so wenig überrascht, dass viele ihrer Wähler diesen Frauen-Vorfahrts-Kurs nicht mitmachen.

Dies gilt nicht nur für Männer. Auch Wählerinnen sind mitnichten gegen Vorurteile wie „Eine Frau schafft das nicht“ gefeit – sie kennen zu wenige weibliche Vorbilder, die sie eines Besseren belehrt hätten.

Vor allem ein Umstand hätte Merkel retten können: Ein massives Umschwenken jener Frauen, die sonst Rot-Grün wählen, auf die Mitfrau Merkel. Doch das blieb aus. Offenbar war es für vielen Wählerinnen zweitrangig, ob der Kanzleranwärter eine Sie oder ein Er ist. Sie folgten ihrer üblichen Präferenz. Und die liegt bei Frauen nun mal eher als bei Männern bei der SPD – neuerdings. Bis 1972 wählten Frauen konservativer als die Männer. Dann waren kaum mehr Mann-Frau-Unterschiede feststellbar. Die Zäsur kam 2002: Häufiger als die Männer votierten Frauen für Rot-Grün. Diese Tendenz hat die jetzige Wahl bestätigt.

Kaum eingetreten ist dagegen ein vor der Wahl viel diskutiertes Szenario: Die Wählerin begeistert der Symbolgehalt, einer Frau das höchste Amt zuzutrauen; dafür ist sie bereit, von ihrer Parteivorliebe abzuweichen. Sicher gab es am Sonntag solche Frauenmachts-Taktikerinnen. Aber nicht so viele, dass sie Merkels Verluste im Unionslager ausgeglichen hätten.

Eine mögliche Erklärung: Gerade solche Wählerinnen sind für Frauenfragen sensibilisiert. Kritischer als die Durchschnittswählerin dürften sie Kandidatin wie CDU-Programm analysieren. Und weder hat sich Merkel bislang als Frauenpolitikerin profiliert – noch liefert ihre Partei umfassende Konzepte für mehr Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau. Letztlich sind es widerstreitende Impulse, die das weibliche Wahlverhalten steuern.

Die Solidarität von Frau zu Frau ist ein wichtiger Faktor – aber nicht der einzige. Mit ihm wetteifert die Sympathie für den Mann Schröder, der sich in den Medien charismatisch darzustellen weiß und Gemüter weichspült, indem er noch im TV-Duell ein „Ich liebe meine Frau“ unterbringt. Frauen hängen stärker als Männer an Schröder und der SPD – diesen Trend konnte auch das Novum einer Kanzlerkandidatin nicht ändern.

COSIMA SCHMITT