ZWISCHEN DEN RILLEN
: Ein klassisches Rest-of

Benjamin Gibbard „Former Lives“ (City Slang/Universal)

Der Musiker als Mensch scheint angenehm schüchtern und bisweilen wunderbar albern zu sein

Benjamin Gibbard ist ohne Zweifel eine Heulboje von Weltrang: Mit seiner Band Death Cab for Cutie und so hübschen Schmachtfetzen wie „I will follow you into the dark“ und „I will possess your heart“ eroberte er erst die Herzen niedlich tätowierter Mittzwanziger, dann den amerikanischen Mainstream.

Zwischendurch nahm Gibbard gemeinsam mit einem Technoproduzenten als The Postal Service ein zartes Elektro-Pop auf sowie eine herzerweichende Solo-EP, ein Duett mit Feist, den Score für den Kurt-Cobain-Film „About A Son“ und gemeinsam mit dem Alternativ-Country-Sänger Jay Farrar ein Album zu Jack Kerouacs Drogen-Psychosen-und-Sand-Roman „Big Sur“.

Man kann gar nicht so viele Alben pressen, als dass alle Ideen dieses Mannes einen Platz finden würden. Dass nun mit „Former Lives“ auch noch ein Soloalbum herauskommt, erscheint daher – behutsam formuliert – ein wenig unnötig. Denn die Standardsituation des Soloalbums ist ja eigentlich die: Der Kopf einer Band, nicht selten aber auch die Nummer zwei in der Hackordnung, bricht aus dem kreativen Korsett aus und veröffentlicht Musik, die mit der Band auf gar keinen Fall oder nur unter größter Irritation der Fans zu veröffentlichen wäre.

Im Falle von Benjamin Gibbard und Death Cab for Cutie liegen die Dinge aber etwas anders: Death Cab for Cutie ist in jeder Hinsicht seine Band, er schreibt alle Texte und fast sämtlich die Musik der Band. Wenn Gibbard sich mit „Former Lives“ also aus einem Gefängnis befreit – dann höchstens aus seinem eigenen. Wo die Neuerungen bei Death Cab for Cutie zuletzt mit einem Brian-Eno-Referenz-Brecheisen erzwungen wurden, geht Gibbard nun auf „Former Lives“ alles zwei Nummern kleiner an.

Sein Solowerk ist nicht nur Rückblick und musikalisches Großreinemachen, sondern auch ein Zurück-auf-los: zurück zu den Lofi-Anfängen, zurück zur Kraft einer nicht sofort von Pomp ummantelten Melodie. „Shepherd’s Bush Lullaby“, der keine ganze Minute lange Auftaktsong von „Former Lives“, scheint geradezu programmatisch, ist er doch aus dem charmanten, unfertigen Material, aus dem sonst leider nur Hidden Tracks sind.

Auch sonst merkt man „Former Lives“ diese Freude an Freiheit und Vielfalt an: Das Beatles-eske „Duncan, what have you gone“ plätschert gelassen vor sich hin, während das freundliche, aber etwas langweilige „Broken Yolk in Western Sky“ deutlich von Gibbards Kerouac-Hommage beeinflusst ist.

Teilweise lehnt sich der Künstler erfreulich weit aus dem Fenster des Gewohnten: „Something’s Rattling Cowpoke“ etwa wartet mit einer Mariachi-Band auf, inklusive Trompeten und flirrender Geige. Am Eingängigsten aber ist „It’s bigger than love“, ein Duett mit der stimmlich wunderbar harmonierenden Aimee Mann – und gleichzeitig der Song, der doch am deutlichsten nach seinen Death Cab for Cutie klingt.

Dass „Former Lives“ nicht der große Bruch mit Konventionen und Erwartungen ist, den man von einem Soloalbum erwarten würde, sondern vielmehr ein Rest-of, wie das einst bei den Lassie Singers hieß, macht das Album gleichzeitig etwas öde, aber auch sympathisch.

Weil Gibbard seine Musik hier nämlich vielleicht zum allerersten Mal nicht in ein Korsett presst, sondern einfach jeden einzelnen Song für sich stehen lässt, ist „Former Lives“ ein Album, auf dem der Mensch hinter dem Musiker in Erscheinung tritt. Und der scheint angenehm schüchtern und bisweilen wunderbar albern zu sein. DANIEL ERK