: Esst mehr Unkraut!
Herdanziehung Zeit, den Portulak wiederzuentdecken. Seine aromatischen Blätter bringen Schwung in klassische Gerichte. Er gedeiht selbst auf dem Balkon
von Denny Carl
„Machsten da?“, fragte die Liebste, als sie mich bei Feldarbeit auf unserem Kleinstacker im nicht überdachten Teil des Wohnraums vorfand. „Ich säe Unkraut!“, antwortete ich, während ich der Erde Schoß – zumindest jenem Teil, der in unseren Balkonkübel passt – ein weiteres Samenkörnchen übergab. „Welches diesmal?“, erscholl es vom Feldrain. Sie weiß, dass es mir alte und vergessene Küchengewächse angetan haben. Solche, die in den vergangenen hundert Jahren eher Jätkralle und Herbizide statt Gabel und Gewürze erdulden mussten. „Sommerportulak“, verriet ich und belud meine Fingerspitze mit Saatgut. „Portulak? Wäre ein schöner Name für ein Pferd“, sprach’s und trabte davon.
Oder eine schöne Zutat für einen Salat. Das saftige, leicht säuerlich und nussig schmeckende Grün des Portulaks verleiht Blatt- und Gemüsesalaten eine herrlich sommerliche Note. Er passt auch in eher fruchtige Salate mit Orangen oder Birnen. Selbst Kartoffelsalat bekommt eine Extraportion Frische, sobald man die kleinen ovalen Blätter aus vollen Händen über ihn verteilt. Gleiches gilt für Kartoffel- oder Erbsensuppe. Man sollte dabei mit Salz etwas sparsam umgehen, denn die dickblättrige Gewürz- und Gemüsepflanze kann selbst recht salzig sein. Dadurch kann sie es aber auch mit kräftigen Aromen aufnehmen, etwa im Pesto oder in Kombination mit Ziegenfrischkäse, Sesam und Zimt. Wer es einfach mag, pflastert ein schönes Butterbrot üppig mit frischen Portulakblättchen. Er eignet sich auch als warmes Gemüse aus Topf und Pfanne. Zubereitet wie Blattspinat ist er eine Alternative für ebendiesen. Kurz blanchiert und mit Ricotta zu einer Sauce verrührt, mundet er zu Gnocchi.
Wichtig ist, dass man Portulak möglichst erntefrisch verwendet und nur ganz kurz gart. Seine wertvollen Inhaltsstoffe könnten darunter leiden. Und davon hat Portulak wahrlich genug: Vitamine A, C und E, Magnesium, Eisen, Kalium und für eine Pflanze ungewöhnlich viel Omega-3-Fettsäuren. Da kann kein Spinat mithalten. Dennoch ist die Pflanze im Anbau anspruchslos: lockere Erde, ein warmer Standort irgendwann zwischen Mai und September sowie wenigstens nach der Aussaat regelmäßig wässern. Somit trifft Portulaca oleracea sowohl mein kulinarisches als auch gärtnerisches Profil. Schon vier Wochen später können die ersten Blätter der bis zu 40 Zentimeter hohen Sukkulente erntereif sein. Ich freu mich drauf.
Die Brandenburgerinnen vom „Gärtnerinnenhof Blumberg“ bringen einige seltene und wilde Kräuter und Gemüse alter Sorten aus ökologischem Anbau auf Berliner Wochenmärkte, darunter auch Portulak: www.gaertnerinnenhof-blumberg.de/unsere-maerkte/
In der Zwischenzeit stellt der „Gärtnerinnenhof Blumberg“ die Versorgung sicher, unter anderem auf dem Wochenmarkt am Berliner Maybachufer (siehe Kasten). Portulak passt wunderbar auf einen Neuköllner Markt. Denn wie so viele und so vieles dort stammt er aus fernen Landen zwischen Kleinasien, Westchina und Nordafrika. Schon im alten Ägypten wurde Portulak als Heil- und Gemüsepflanze kultiviert. Die Römer brachten ihn nach Mitteleuropa, wo er im Mittelalter sehr geschätzt wurde. Noch im 18. Jahrhundert priesen Bücher diese „antiscorbutische Vegetabilie“ als Mittel gegen Nierenleiden und lockere Zähne. Danach wurde es still um die jahrtausendealte Kulturpflanze. In wärmeren Gebieten Deutschlands wucherte er als sogenanntes Unkraut über Weinberge oder im Schutz sonniger Mauern. Erst in den 1980er Jahren schaffte es Portulak wieder auf den Teller. Gastronomen setzten ihn zum Zwecke kulinarischer Extravaganz dorthin. Dass es ihn heute sogar in einigen Supermärkten gibt, lässt auf eine Renaissance hoffen. Schön, dass vergessene Küchenpflanzen statt des Unkrautstigmas nun ein Preisschild tragen und unsere Böden und Teller durch eine größere und gesunde Vielfalt bereichern.
Übrigens: Portulak ist wegen des Reichtums an guten Inhaltsstoffe ein immer beliebter werdender Bestandteil heilsamen oder Mangelernährung vorbeugenden Pferdefutters. Aber das verschweige ich meiner hippophilen Liebsten vorerst. Sie würde andernfalls flugs ihren Bambi-Blick aktivieren und etwas wie „Ist doch fürs Pferdchen!“ murmeln. Hernach bliebe mir nur noch, das Portulak-Areal zu umzäunen – oder uns etwas Leckeres aus diesem liebenswerten Kraut zu zaubern. Das wird sie bestimmt im Zaum halten.
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