: Analoges Pingpong mit echten Instrumenten
MUCKERINNEN Softpopverliebt durch die kalifornische Wüste wandeln: die drei Schwestern Haim und ihr neues Album „Something to tell you“
von Lorina Speder
Die Westküste der USA verbindet man mit Weite, dem pazifischen Ozean und der Wüste, die gleich hinter Los Angeles beginnt. Dies ist das Umfeld, in dem die drei Schwestern von Haim aufwuchsen, die ihre Band praktischerweise nach ihrem Familiennamen benannt haben. Vier Jahre nach ihrem erfolgreichen Debütalbum („Days Are Gone“) melden sich Danielle, Alana und Este Haim nun zurück. Die drei Musikerinnen mit den charakteristischen Stimmen überzeugen auf „Something to Tell You“ erneut: Das Album bietet feinsten Pop, eingespielt ganz analog mit echten Instrumenten.
Dass die Superstars Fleetwood Mac und ihr verschwenderischer Softpop-Sound der Siebziger dafür Pate gestanden haben, ist mehr als deutlich hörbar. Trotzdem ist „Something to Tell You“ mehr als nur eine schlaue Kopie einer längst vergangenen Ära. Die neuen Songs, in denen Haim R&B-Rhythmen, rockige Gitarren und eingängige Melodien vermischen, enthalten viele gute eigene Kompositionsideen.
Nicht glattgebügelt
Leadsängerin Danielle Haim und ihre jüngere Schwester Alana spielen wie gewohnt Pingpong mit ihren Gitarrenriffs, so akzentuiert und schnell hintereinander eingeworfen sind ihre Anschläge. Auch die Trommeln auf den Songs knallen an unerwarteten Stellen. Die sperrigen Drums wie beim Titelsong und der immer dem Groove zugewandte Bass verhindern, dass die Popsongs nur wie weichgespülte, glattgebügelte Charthits klingen. Mit den vielen Rhythmusakzenten, verzerrten Gitarren und dreistimmigen Gesängen sind die Schwestern ihrem Sound treu geblieben.
Manchmal verlässt das Trio diese Pfade wie in „Little of Your Love“ mit seinen Stimmexperimenten oder dem R&B-lastigen „Walking Away“ – diese Songs hätte man sich zwar sparen können, doch gibt es andere Highlights auf dem Album, die das wiedergutmachen.
Angefangen als Coverband, bestehen Haim nun seit genau einer Dekade: Am 7. Juli 2007 gaben sie ihr Debütkonzert in Los Angeles. Inzwischen gehören die Konzerte von Haim zu den Höhepunkten vieler großer Festivals, auf denen sie als Headliner gebucht und prominent platziert sind. Auf der Bühne albern die drei Geschwister gerne herum und zeigen, dass sie Spaß haben.
Die drei Schwestern fragen sich, ob sie „Ready For You“ waren, und ärgern sich über Exlover, so auch in „Nothing’s Wrong“. ‚Sag mir doch, was los ist!‘, fordern sie und säuseln leicht und elegant über ein Keyboardriff. Der Song ist mit den Trommeln, gestotterten Hintergrundgesängen („te-te-tell me!“) und Gitarrensolo einer der Hits des Albums.
Promenadenwalk
Die Musikalität der Schwestern drückt sich dabei in der Detailverliebtheit ihrer Instrumentierung aus. Die Multiinstrumentalistinnen haben im Studio so gut wie alles selbst eingespielt. Ihre unterschiedlichen Stimmlagen wissen zu überzeugen. Sogar in den Backgroundgesängen weiß man nach einer Weile, wer welche Stimme singt. Jede Schwester bekommt neben der Hauptstimme von Danielle Haim auch ihre eigene Gesangspassagen. Das beste Beispiel dafür: die vorab veröffentlichte Single „Want You Back“, in der sie sich mit dem Sologesang abwechseln.
Im Video dazu schreiten die drei Künstlerinnen lässig auf einem der breiten Boulevards durch Los Angeles. US-Flaggen hängen an den Gebäuden und Palmen verweisen auf die Vegetation der südlichen Westküste. Weder sind andere Darsteller zu sehen noch gibt es Autoverkehr, nur die komplett leergefegte, trostlose Straße ist im Bild – die Kamera fängt die drei Frauen beim Gehen frontal ein. Dass Haim über vier Minuten bei der Promenade gezeigt werden, wirkt zunächst langweilig – ist aber trotzdem total spektakulär und zeigt ganz nebenbei, was Haim ausmacht: Die kleinen akzentuierten Bewegungen der Musikerinnen und ihre grazilen Schritte reichen vollkommen aus, um ein Video zu inszenieren. Weniger Handlung ist manchmal mehr, es geht ja um auch um Musik.
Haim: „Something to Tell You“ (Vertigo/Universal)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen