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Kirchenlieder gegen rechten Rock

Neonazi-Konzert Rund 6.000 Rechtsextreme sind am Samstag in die südthüringische Kleinstadt Themar gereist. Die BewohnerInnen protestieren auf ihre Art – und werden von der linken Szene im Stich gelassen

Stinkefinger für die JournalistInnen: braune Kameraden auf dem Weg zum Neonazi-Festival „Rock gegen Überfremdung“ Foto: Michael Trammer/imago

Aus Themar Patricia Hecht

Kurz vor dem Ortseingang von Themar ist ein großes weißes Bierzelt aufgebaut. „Südthüringen bleibt deutsch“ steht auf Plakaten am Zaun, der das Gelände begrenzt, oder „Linksfaschisten in den Knast“. Außerhalb des 3.000-Seelen-Örtchens kommen Busse voller Neonazis an, aus anderen Bundesländern, aus Tschechien oder Ungarn. Schon mittags um zwölf strömen sie vom Parkplatz auf das Festivalgelände, vor dem Eingang zum Bierzelt bilden sich lange Schlangen.

Viele Wartende tragen T-Shirts, auf denen etwa „HKNKRZ“ steht, eine ­Abkürzung für „Hakenkreuz“, oder „30. Januar 1933 – Tag der nationalen Erhebung“, der in den Geschichtsbüchern als Tag der Machtübernahme Hitlers bezeichnet wird. Manche Neonazis haben sich mit Pflastern großflächig Tattoos abgeklebt, um keine verbotenen Symbole zu zeigen. Rund 95 Prozent der Teilnehmenden sind Männer. Sie werden einzeln von der Polizei kon­trol­liert, bis sie schließlich, von der Öffentlichkeit abgeschirmt, im Zelt verschwinden. „Surreal“ sei diese ganze Szenerie, sagt einer der Polizisten, der am Rand steht.

Zwei Nazis pro Einwohner

Rund 6.000 Rechtsextreme werden es am Abend sein, die zum bundesweit wohl größten Neonazikonzert in diesem Jahr in die südthüringische Kleinstadt gekommen sind, mehr noch als erwartet. 43 Strafanzeigen unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, wegen Bedrohung, Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz werden erstattet, drei Menschen in Gewahrsam genommen, von 440 weiteren wird die Identität festgestellt, so die Polizei. Obwohl das Festivalgelände wegen des Andrangs zwischenzeitlich vergrößert werden musste, sei das Sicherheitskonzept doch aufgegangen. Auch die Abreise der TeilnehmerInnen nach Mitternacht sei problemlos verlaufen.

Bis zuletzt hatte es Versuche gegeben, dem Konzert zumindest den Charakter als politische Versammlung abzuerkennen und es als kommerzielle Veranstaltung zu deklarieren, wodurch es mehr Auflagen und Kosten für den Veranstalter gegeben und die Polizei mehr Möglichkeiten zum Eingreifen gehabt hätte. 35 Euro Eintritt ­kosteten die Karten. „Es geht hier um viel Geld“, sagte Madeleine Henfling der taz, Grünen-Abgeordnete im Thüringer Landtag und als parlamen­tarische Beobachterin vor Ort. Das Landratsamt, das geklagt hatte, hätte im Vorfeld jedoch „nicht gut genug gearbeitet“, um die Klage auch durchzubekommen.

Veranstalter des Konzerts war Tommy Frenck, ein 30 Jahre alter gelernter Koch, über dessen Hals quer „Aryan“, das englische Wort für „Arier“, tätowiert ist. Er betreibt im Ortsteil Kloster Veßra den Gasthof Goldener Löwe, der sich als Szenetreff etabliert hat, sowie den Onlineversand druck18, dessen Shirts (etwa „Division Thüringen“) viele KonzertteilnehmerInnen trugen. Die Wiese stellte Bodo Dressel zur Verfügung, Bürgermeister der Nachbargemeinde Grimmelshausen und bis vor Kurzem Mitglied der AfD. Elf Redner und eine Rednerin traten auf, darunter Jan Jaeschke von der NPD und Axel Schlimper von der Europäischen Aktion, einer Organisation von HolocaustleugnerInnen, sowie sieben Bands, etwa die Headliner Stahlgewitter oder Treue­orden, die mit der verbotenen Bewegung Blood & Honour in Verbindung stehen soll.

Schläge nach der Kamera

JournalistInnen und parlamen­tarische BeobachterInnen stehen, durch Polizeigitter geschützt, am Straßenrand und fotografieren die zum Festivalzelt laufenden Neonazis, von denen sich viele ihre Shirts oder Eintrittskarten vors Gesicht halten, um nicht erkennbar zu sein. „Abschaum!“, zischen sie oder „Lügenpresse!“, immer wieder schlagen einige in Richtung der Kameras. Hier ist ab dem frühen Nachmittag bis etwa ein Uhr nachts auch Musik und Grölen zu hören, hundert Meter weiter in Themar selbst aber schon nicht mehr.

„Das Konzert ist eine Katastrophe für Themar“

Bürgermeister Hubert Böse

Das Konzept der Polizei, die mit rund 1.000 BeamtInnen im Einsatz war, geht auf: Die ­Kleinstadt wird weitgehend frei von Neonazis gehalten. Im Ort ist dennoch für einen Samstag recht viel los. Auf einer Bühne spielen Rockbands, mehrere kleinere Demonstrationszüge laufen immer mal wieder durch die Stadt, unter anderem 20 KirchgängerInnen, die ausdauernd „Donna Nobis Pacem“ singen, einer trägt vorneweg ein Kreuz.

Die BürgerInnnen haben sich deutlich positioniert: In Fenstern und an Laternenmasten der beschaulichen Kleinstadt hängen Plakate mit Slogans wie „Nichts wird besser durch Fremdenhass“ oder „Wer kein Selbstbewusstsein hat, braucht Nationalbewusstsein“. Jedoch: Statt der erwarteten 2.000 GegendemonstrantInnen kommen zu den neun angemeldeten Veranstaltungen von Bürgerinitiativen, der Kirche und Privatleuten letztlich nur wenige Hundert Menschen.

Das Konzert sei „eine Katastrophe für Themar“, sagte der Bürgermeister der Stadt, Hubert Böse. Wenn eine private Fläche vermietet werde, habe die Stadt jedoch so gut wie keine Möglichkeit, einzugreifen. Die einzige Chance, die er sehe, um solchen Veranstaltungen künftig entschlossener entgegenzutreten, sei die Positionierung der Zivilgesellschaft – „möglichst das ganze Jahr über, nicht nur jetzt“.

Das dürfte für die gesamte Region am Südrand des Thüringer Waldes gelten, die in den vergangenen Jahren zu einem Haupt-veranstaltungsort rechtsextremer Rock­konzerte geworden ist. Allein diesen Monat wurde und wird dort zu drei Open Airs eingeladen: „Rock für Deutschland“ Anfang Juli, „Rock gegen Überfremdung“ von diesem Samstag und Ende des Monats „Rock für Identität“.

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