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Ein Mann wie ein Würstchen

Oper Mit „Carmen“ zeigt das Opernprojekt der Hochschule für Künste eine moderne Version des Klassikers am Leibnizplatz. Und spielt mit den Bedingungen der Gattung

von Florian Schlittgen

Bereits das Bühnenbild deutete auf eine eher unkonventionelle Interpretation hin: Drei Wände sind zu sehen, auf denen Bilder einen Kommentar über die Zeitgenossenschaft der 1875 uraufgeführten Oper „Carmen“ abgeben. Nicht nur Fotos von Georges Bizet hängen dort, der die Musik komponierte. Zu sehen sind Brahms und Nietzsche. Und jede Menge Fußballspieler.

Beim Gastspiel der Bremer Hochschule für Künste in der Shakespeare Company finden Fußballer Platz in der Opéra-Comique. Denn die GesangsstudentInnen verschiedener Klassen der HfK warten mit einer ungewohnt modernen Version der Oper auf.

Unter Regie von Gregor Horres verweben sich zeitgemäße Anschauungen mit dem eigentlichen Handlungsort: das spanische Sevilla im 18. Jahrhundert. So laden Sergeants nach einem Abend in der Taverne gönnerhaft in den „Club“ ein. Und der Torero Escamillo wird gleich komplett auf ein heutiges Bild von Männern gemünzt, die in Stadien bejubelt werden: Einer, der mit Bullen ringt, weicht dem dickbäuchigen Fußballspieler, der trotz trotteligen Trikots die stolze Arroganz eines Stierkämpfers ausstrahlt. Das irritiert, öffnete aber zugleich einen Raum, in dem Fußball als selbstverliebter Männerkult angreifbar wird. Konsequent ertönt dann auch nicht die fol­kloristische Toreador-Arie, neben Habanera wohl das bekannteste Musikstück der Oper, sondern ein Fußballsong, mit „sausages“ und „beer“.

Beinahe jedenfalls. Am Ende spielt aber zumindest abgehackt doch dann der Toreador. Ganz ohne geht es eben nicht. Im Streit zwischen Don José, der Carmen ein letztes Mal von seiner Liebe überzeugen will, offenbart das Lied das Begehren der sevillanischen Schönheit: den Torero. Hier überrascht, dass der Streit sich sogleich im Kampf über die Wahl des Musikstücks spiegelt. Beide Parteien drückten abwechselnd auf fiktive Tasten, als stünden sie an einer Jukebox. Und es ist zwar lustig, ihnen dabei zuzusehen, aber schließlich auch noch mehr als das. Die beiden spielen nämlich mit den Bedingungen der Gattung selbst. Die Musik wird darüber von ihrer schlicht begleitenden Funktion befreit, bloß Atmosphären zu schaffen. Sie wird selbst zu einer Art Erzählung. Musik, so könnte man sagen, ist hier die Geschichte.

Diesen Perspektivwechsel vollzieht die Inszenierung auch auf der Ebene des Geschehens. Im Fokus liegt dabei die mutige und leidenschaftliche Carmen und nicht Don José, dessen Geschichte ja an der Oberfläche erzählt wird.

Denn mit Mariam Murgulia ist eine Carmen zu sehen, die sich erlaubt zu lieben, zu wüten und zu scheitern. Würdevoll und bedrohlich präsentiert sie sich, konsequent im Bild einer Frau inszeniert, die mehr noch als Männer ihre Freiheit liebt. Carmen ist nicht nur Schönheit und exotisches Lustbild: Noch mehr als begehrenswert sein will sie selbst begehren.

Nun ist Carmen erst mal kein emanzipatorisches Stück. Der Text endet mit den Worten: „Sie konnte nichts dafür, sie war ja eine Zigeunerin.“ Von diesem plumpen Rassismus hat sich die Aufführung der Bremer Kunsthochschule befreit. So gibt es eine Carmen zu sehen, die nicht in erster Linie Zigeunerin ist und deren Platz in der Gesellschaft darum von vornherein fraglich ist, sondern eine Frau, die sich erlaubt, was auch Männer dürfen – ohne ihre Weiblichkeit dafür aufzugeben.

Aufgelöst taumelt der Eifersüchtige über die Bühne. Man fürchtet fast, er kippt gleich um

So changiert Murgulia auf der Bühne zwischen kontrollierter und distanzierter Selbstbestimmung und Leidenschaft. Mit gespreizten Beinen hofiert sie Soldaten, nur um ihre Antworten zugleich mit koketter Drehung abzuwehren. Sie verliebt sich in José, um anschließend Escamillo zu verfallen.

Im Kontrast dazu steht Don José, gespielt von Stefan Hahn. Unsterblich verliebt und von Eifersucht zerfressen, kann er die Zurückweisungen von Carmen nicht ertragen: Aufgelöst taumelt er über die Bühne, und das nicht zu knapp. Man fürchtet fast, er kippt gleich um. Sein Schmerz wirkt dabei so entgrenzt, dass er sich selbst in Passagen, in denen er nicht singt, sondern nur am Rande steht, mit den Armen auf den Beinen abstützt.

Was er als würstchenhaftes Spiel verkauft, ist eher als szenisches Mittel zu verstehen: Im krassen Gegensatz zu Carmen, die das Leben mit einem beherzten Ja begegnet, klammert sich José an etwas, das nicht festzuhalten ist. Und wenn sich einer nur über die andere begreift, dann ist das nicht hübsch romantisch. Sondern war immer schon charakterschwach.

„Carmen“ ist das jährliche Opernprojekt der Bremer Hochschule für Künste und noch an folgenden Tagen zu Gast bei der Shakespeare Company: Samstag, 15. 7., und Montag, 17. 7., 20 Uhr, Theater am Leibnizplatz

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