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Gut gemeinte Gesinnung, bebildert

Kunst Die diesjährige Rohkunstbau-Ausstellung im branden-burgischen Schloss Lieberose und „Die Schönheit im Anderen“

Alu-Pferde im Schloss: Toshihiko Mitsuya, Anonymous Relatives – watcher, 2017 Foto: Jan Brockhaus/Rohkunstbau

von Ronald Berg

„I have never seen a refugee camp“: mit dieser im leeren Raum schwebenden Neonschrift empfängt die diesjährige Rohkunstbau-Ausstellung ihre Besucher auf Schloss Lieberose. Das Konzept des inzwischen von der Heinrich-Böll-Stiftung veranstalteten Rohkunstbaus: Seit 23 Jahren findet immer sommers irgendwo in einem leerstehenden brandenburgischen Schloss eine Kunstausstellung statt. So auch diesmal, im 30 Kilometer von Cottbus entfernten Lieberose.

Die eigens für die Ausstellung entstandene Installation über das nie gesehene „Flüchtlingscamp“ der portugiesischen Künstlerin Tatiana Macedo reißt gleich am Beginn des Ausstellungsparcours das diesjährige Thema an. Es geht um „Die Schönheit im Anderen“. Der seit 2004 bei Rohkunstbau engagierte Kurator Mark Gisbourne, ehemals Kunstkritiker in Großbritannien, hat für unsere Gegenwart „Ethnizität und Gender“ als „Parameter des Anderen“ ausgemacht, die zusammen mit einem „Sinn für den Flüchtling“ und der Frage von „displacement“ die wesentlichen Punkte markieren, worum es in seiner Ausstellung gehen soll. Das englische Wort displacement meint nicht nur Vertreibung von Menschen, sondern beschreibt auch die Zirkulation von Ideen von einem Ort zum anderen. Und damit sind zugleich die elf Künstler in Gisbournes Ausstellung charakterisiert. Die meisten haben schon durch ihre Biografie Erfahrungen mit displacement gemacht, und der Transfer kultureller Phänomene ist ihren künstlerischen Arbeiten inhärent. Tatiana Macedo etwa ist in Lissabon geboren, ihre Vorfahren stammen aus afrikanischen Kolonien Portugals, nun lebt sie in Berlin.

Virtuose Toshihiko Mitsuya glänzt auch ohne ideologischen Überbau

Nun, der Sinn für Ethnizität, Gender und Migrationsfragen mag dem Zeitgeist treffen. Ob das ausreicht für eine gute Kunstausstellung, ist eine andere Frage. Glücklicherweise sind die Orte, an denen Rohkunstbau stattfindet, schon mal lohnend und sehenswert, da sie normalerweise gar nicht zugänglich sind. Und Schloss Lieberose ist ein sehr illustrer Ort, auch und gerade wegen seiner geschundenen Substanz. Der vierflüglige Barockbau um einen Innenhof gehörte einst der Familie von der Schulenburg. Ein Flügel wurde im letzten Krieg zerstört, ein angrenzender Turm fiel dann noch in den siebziger Jahren um. Der heute 1.300 Einwohner zählende Ort Lieberose war im 2. Weltkrieg als Garnisonsstandort vorgesehen. Häftlinge aus einem nahegelegenen KZ sollten einen riesigen Truppenübungsplatz herrichten. Nach 1945 unterhielten die Sowjets in der Nähe von Lieberose ein „Speziallager“.

Die Lieberose’sche Provinz scheint allerdings für die globetrottende Künstlerschaft hier das „ganz Andere“ – so anders, dass es gar nicht fasslich werden kann. In der Ausstellung fehlen jegliche Bezüge zum Ort, abgesehen von ästhetisch Naheliegendem. Elmgreen & Dragset etwa, das schwule Künstlerduo, haben sich offenbar mit Bedacht einen Saal mit allerlei nackten Putti an der Stuckdecke ausgesucht. Ihre Installation hat auch Witz. Zu sehen ist ein silbrig glänzender Findlingsblock von ziemlicher Größe. Platziert auf einem Trampolin, das sein Gewicht natürlich nicht tragen kann. Titel der Arbeit: „Too heavy“.

Das kann man auch als ironischen Kommentar zum Anspruch der Ausstellung lesen. Gisbourne gefällt sich mit intellektuellem Wortgeklingel. Am Ende zählen aber nicht die Rhetorik des Kurators oder korrekte Themen, wenn es um gute Kunst geht. In dieser Hinsicht ist die Schau durchaus zwiespältig. Trashkunst von Ivan Gorshkov mag in barocken Ambiente noch angenehm befremden. Bei den Knüpf‑ und Bastelarbeiten von Jeanno Gaussi wird die Ethnokarte gezückt, Andrew Gilbert verhohnepipelt britische Truppen ob ihrer kolonialistischen Vergangenheit. Was bleibt? Die Bebilderung gutgemeinter Gesinnung.

Elmgreen & Dragset, Too Heavy, 2017 Foto: Jan Brockhaus/XXIII. Rohkunstbau

Wirklich gute Künstler wie der Zeichner Simon English (mit seinen subtilen Anspielungen und Referenzen zu Literatur, Kunst, der eigenen Biografie und vielem mehr) sind in ihren Arbeiten offen für die mannigfaltigsten Interpretationen, sodass sie mühelos auch unter ganz anderen Überschriften bestehen könnten. Ein Virtuose wie Toshihiko Mitsuya, der hier zwei bannertragende, etwa lebensgroße Ritter zu Pferde aus Alufolie vorstellt, beeindruckt auch ohne großen ideologischen Überbau. Der Japaner und seine spiegelnden Figuren liefern zudem noch einen „anderen“ interessanten Rahmen für die Ausstellung: nämlich das Klischee des Europäischen, wie es sich im Blick von außen ausnimmt. Darin sind dann wir die anderen.

In globalisierten Zeiten heißt das: Für unser Selbstverständnis kommen wir nicht umhin, uns im Blick der anderen zu spiegeln. Und aus einem wirklich „anderen“ oder externen Blickwinkel heraus handelt die Ausstellung nicht vom sogenannten Anderen, sondern ist vielmehr der genaue Abklatsch gegenwärtig gängiger Modetrends (nicht nur) im Kunstbetrieb.

Bis 10. September, Schloss Lieberose (Spreewald), Sa. u. So. 12 –18 Uhr, www.rohkunstbau.de

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