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Nur der Rasenmäher stört

ORTSTERMIN zu hause Offene Läden, freie Straßen, Wochenmarkt wie immer: In Rahlstedt, an Hamburgs östlichem Stadtrand, war vom G20-Gipfel so gut wie nichts zu merken

Glückliches Rahlstedt – dank der miesen Bahnanbindung Foto: privat

von Kaija Kutter

Samstagvormittag, 11 Uhr: In der Rahlstedter Fußgängerzone wimmelt es vor Menschen. Dichtes Gedränge, Leute stehen brav in der Schlange und warten, bis sie drankommen, um Schinken, Erdbeeren, Gemüse oder Blumen für Balkon und Garten zu kaufen. Es ist der 8. Juli. G20-Gipfel? Krawalle? Es ist Markt.

Und an diesen Tagen versammelt sich regelmäßig der ganze Stadtteil, wie es scheint, auf den engen Gassen, die die Marktbeschicker zwischen ihren Buden und der Ladenzeile lassen. Jedenfalls die ältere Generation tritt hier an. Man ging mal zusammen zur Schule oder hat die Kinder mal auf die gleiche Schule geschickt, man kennt sich, hält ein Schwätzchen. Hier ist nicht die „Szene“, sondern eine andere Welt. Nicht empfänglich für all die in Englisch verfassten Parolen.

Beim Asia-Imbiss sind die Stühle noch leer. Hier liegt ein zersplitterter Stein am Boden, aber das muss Zufall sein. Gut besucht sind auch die Tische vor Eisdielen und Cafés. Doch kein Plakat fällt ins Auge, kein Transparent oder wenigstens eine Zeitungstitelseite, die an die Ereignisse in der City erinnern. Nur am Busbahnhof leuchtet eine Anzeige, wegen G20 fielen Linien aus. Aber nicht hier. Auch die Regionalbahn, die vor zwei Wochen durch Kabelbrände sabotiert wurde, fährt zuverlässig wie ein Uhrwerk die 16 Kilometer in die Stadt und zurück. Und Staus gibt es hier nicht.

Rahlstedt, das sei „am Arsch der Heide“, schrieb die taz in ihrem live-Ticker, als am Dienstag eine von Jugendlichen besetzte ehemalige Kirche als Übernachtungsstätte für G20-Gegner angeboten wurde. Doch auch diese Kirche ist ganz woanders, eine halbe Stunde Fußmarsch. So weitläufig ist es hier.

Kurz vor dem Einkaufszentrum „Rahlstedt Arcaden“ das erste Fitzelchen Politik. Ein Sonnenschirm der CDU. An Stehtisch agitiert der langjährige Abgeordnete Karl-Heinz Warnholz einen Bürger, auch andere diskutieren eifrig. Satzfetzen erreichen mein Ohr. „400 Polizisten“, „da sieht man mal“. Ich will lauschen, da spricht mich eine Dame an. Ob ich nicht mit dem Bundestagskandidaten sprechen möchte, „der steht gleich hinter ihnen“, nein, möchte ich nicht. Oder gleich in die CDU eintreten, oder mit zur Kaffeefahrt nach Helgoland. Gottbewahre, aber einen Kugelschreiber nehme ich mit, und eine Blattsammlung zur Sicherheit in Hamburg von der CDU, vor dem G20 aufgesetzt, also vermutlich nicht aktuell.

Zurück im Garten warten die Neffen, die zu Besuch sind und sich beim Lego-Spiel von ihrem Onkel die Titelseite der Zeitung erklären lassen. Trump und Klimaabkommen, davon haben schon Zehnjährige gehört. Ein Dröhnen in der Luft. Ich lege den Kopf in den Nacken. Sind das etwa Hubschrauber? Im Stadtzentrum sorgen die für Dauerbeschallung. Ich gehe ein paar Schritte in den Garten, lausche nochmal. Es ist ein Rasenmäher.

Also gar kein G20 in Rahlstedt? Oh doch. In der Nacht zuvor, die Kinder waren im Bett, NTV geguckt. Ein Reporter mit Schutzhelm berichtet wie aus dem Kriegsgebiet. Brennende Barrikaden, klirrende Scheiben. Männer in Tarnuniform mit Sturmgewehren nehmen Leute fest.

Und am nächsten Morgen im NDR die seltsame Distanzierung eines Autonomen. Man habe Sympathie für gewisse Aktionen, aber bitte woanders, in Blankenese oder Pöseldorf. Ähhem! Wie gut, dass Rahlstedt so ein unscheinbarer Stadtteil ist. Und die Bahnanbindung ist wirklich mies.

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