piwik no script img

In Hamburg sind Demonstranten nicht willkommen. Sie sind der Feind. Sie sollen zum Beispiel nicht schlafenUngerechtigkeit erzeugt Widerstand

Fremd und befremdlich

Katrin Seddig

Hamburg ist nervös. Ich bin nervös. Ich schlafe schlecht. Ich lese mehrmals täglich die Nachrichten. Wut macht sich breit. Die einen sind wütend, weil ihr Alltag erschwert wird, weil sie ihr kleines Geschäft für zwei Tage schließen müssen, oder nicht wissen, wie sie zur Arbeit kommen. Die anderen sind wütend, weil die Polizei schon im Vorfeld ihre Grundrechte einschränkt. Es war keine gute Idee, den Gipfel in Hamburg stattfinden zu lassen, da sind sich alle einig.

Aber jetzt findet er hier statt, und wer sich für den Gipfel in Hamburg entschieden hat, der hat sich auch für den Protest in Hamburg entschieden. Es war auch keine gute Idee, für dieses Event einen polizeilichen Einsatzleiter zu ernennen, der bereits für mehrere rechtswidrige Polizeieinsätze verantwortlich zeichnet. Was hat man sich davon versprochen? Hartes Durchgreifen? Ist Eskalation das Konzept? Im Moment sieht es so aus. Im Moment sind Demonstranten nicht willkommen. Sie sind der Feind. Sie sollen zum Beispiel nicht schlafen.

Man stelle sich das vor: Die Leute reisen hier an, auf eigene Kosten, die nehmen sehr viel mehr auf sich als Verkehrsstörungen, und dann sollen sie nicht schlafen dürfen? Was ist das denn für eine dumme, unmenschliche Idee? Da verhindern Polizisten den Aufbau eines gerichtlich genehmigten Camps, und es ist vollkommen irrelevant, was am nächsten Tag gerichtlich untersagt wurde – zum Zeitpunkt, als die Polizei den Aufbau verhindern wollte, war dieses Camp genehmigt. Es war Nacht, die Leute standen da, mit ihren Zelten, müde und kaputt, und sie sollten nicht schlafen dürfen, in ihrem gerichtlich genehmigten Camp. Es ging nicht um Randale, um Sachbeschädigung, um Lärm, es ging um das Schlafen.

Und so wächst die Wut. Denn wo sollen die Leute denn hin? Wo sollen sie alle hin, die hier anreisen? Die haben keine Waffengeschäfte am Laufen, die können sich kein Hotel mieten. Die haben nur ein winzig kleines Zelt und einen Schlafsack, und sollen nicht mal auf der Erde schlafen dürfen. Das ist nicht Recht.

Es ist die Aufgabe der Polizei, Gewalt zu verhindern, aber Demonstranten sind doch nicht an und für sich gewalttätig. Sie sind kein Pack und keine Verbrecher. Ich bin eine Demonstrantin. Ich bin diesem Staat gegenüber immer gefügig gewesen. Ich bin zur Arbeit gegangen, ich habe Steuern gezahlt, zwei Kinder aufgezogen, ich habe noch nie eine Straftat begangen und ich bin eine Demonstrantin gegen den G20-Gipfel.

Ich habe Gründe. Aufgrund der Machtansprüche und der verbrecherischen Geschäfte der Gipfelteilnehmer sterben überall auf der Welt Menschen an Hunger und Krieg, aufgrund ihrer Klimapolitik wird die Welt eines Tages zugrunde gehen. Wenn ich gegen diesen Gipfel auf die Straße gehe, werde doch nicht ich damit zum Verbrecher.

Ich verlange von der Polizei, von meiner Stadt, anständig behandelt zu werden. Ich verlange, dass alle Demonstranten anständig behandelt werden. Es gehört sich, sie hier übernachten zu lassen. Die SPD hat Herrn Pussy-Grabber Trump das Gästehaus überlassen, sie sollte den Demonstranten eine Wiese überlassen. Das ist das Mindeste.

Die Menschen sind wütend. Sie werden immer wütender. Wenn Herr Dudde glaubt, er könne Probleme mit Härte in den Griff bekommen, dann irrt er. Nach diesem Gipfel wird die Stadt nicht mehr dieselbe sein. Ungerechtigkeit radikalisiert die Menschen. Ungerechte Härte erzeugt Widerstand.

Wenn es nach diesem Wochenende doppelt so viele Autonome in Hamburg gibt, dann ist das das Werk von Herrn Hartmut Dudde und Herrn Andy Grote. Vielleicht macht ihnen das Spaß, vielleicht ist das das Ziel? Man weiß es nicht.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin mit besonderem Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ erscheint im August bei Rowohlt Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen