: Nur schön reicht nicht
Werder spielt bei Borussia Mönchengladbach nur eine Halbzeit lang und wird dafür mit der ersten Saisonniederlage bestraft. Prompt wähnt sich Borussen-Trainer Horst Köppel auf dem richtigen Weg
AUS GLADBACH BERND MÜLLENDER
Die einen verließen das Stadion grinsend, manche haben sich mutmaßlich auch geschämt. Die anderen schüttelten nur den Kopf nach den absurden Stunden im Borussen-Park. Gemeinsam war allen die Unwissenheit, was grotesker gewesen war an diesem niederrheinischen Abend zwischen Rübenfeldern und Maisplantagen: dass Werder Bremen ein unverlierbares Spiel verloren hatte oder die Gastgeber gewonnen?
Werder war bärenstark, 45 Minuten lang. Da kombinierten sie souverän, wohlgefällig und zielstrebig, beherrschten einen kreisklassigen Gegner nach Belieben. Schon nach neun Minuten hätte es locker 0:3 stehen können. Hilflos und anfängerhaft waren die kampflos lahmenden Borussenfohlen herumgestolpert. Milan Fukal wäre der schlechteste Mann auf dem Platz gewesen, hätte nicht auch das Indisponiertentrio Kahe, Broich und der spieluntaugliche Rekonvaleszent Lisztes mitgewirkt. Pfiffe und Hohnapplaus hatten sich bald abgewechselt. Aber es stand nur 0:1 durch van Dammes unbedrängten Kopfball (21.) „Richtig sauer“ war Borussencoach Horst Köppel in der Halbzeit, „ich hatte noch gehofft, aber nicht mehr dran geglaubt“. Niemand hatte das. „Es sah aus, als würden wir richtig abgeschossen“, sagte Manager Peter Pander.
Aber gegen sorglose und mittlerweile selbstbesoffene Bremer grätschte plötzlich der eine oder andere Gladbacher. Es gelang ihnen sogar, ironisch beklatscht, die erste Ecke nach 48 Minuten. Und noch besser: Sie trafen. Erst Thomas Broich nach arroganter Owomoyela-Tölpelei mit einem abgefälschten Glücksschuss an den Innenpfosten (53.), dann Bremens orientierungsloser Kapitän Frank Baumann völlig unbedrängt mit einem eleganten Eigentor (60.). Es war eine Wende, so paradox und unerwartet, als würde Gerhard Schröder freiwillig die Kanzlerschaft an Angela Merkel abtreten. Torschütze Baumann wusste nach der ersten Saisonpleite: „Uns ist es nicht mehr gelungen gegenzuhalten.“
Bremens Trainer Thomas Schaaf sagte, was man nach so einer Deppenhalbzeit so sagen kann: „Sehr dumm, sehr ärgerlich, vollkommen unnötig. Wir haben alles weggeworfen und sind zu Recht bestraft worden.“ Von Bayern-Verfolgung oder „irgendeiner Meisterschaft“ wollte der Coach nichts wissen: „Damit beschäftige ich mich überhaupt nicht“, schwindelte er. Manager Klaus Allofs („Wir mussten die doch weghauen!“) flüchtete ins Fußballphilosophische: „Ideal ist es, Schönheit und Effektivität zu verbinden. Schönheit haben wir schon.“ Ist Werder nicht dreckig genug? „Wir wollen keine dreckige Mannschaft.“
Der Sieg hat Gladbachs strukturelle Missstimmung im dritten Jahr in Folge vorläufig übertüncht. Der frische Streit nach dem demütigenden 1:2 in Köln zwischen Manager Pander und dem auffällig fahrigen Trainer Köppel wurde am Dienstag zum Missverständnis erklärt und nach einem „klaren Gespräch unter Männern“ (Köppel) beigelegt. Pander setzte dennoch ohne Not einen Pflock ein: „Als Sportdirektor bleibe ich Vorgesetzter des Trainers.“
Und es bleibt auch Borussias großes Dilemma: 24 Spieler sind seit Sommer 2004 im „Kaufhaus des Westens“ neu verpflichtet worden, rechnerisch alle drei Wochen einer. Nach sechs Spielen durften schon 21 Mann mitkicken. Langzeitverletzte wie Böhme, Thijs und Sonck warten noch auf die Saisonpremiere, Ziege und Elber (29 Saisonminuten) droht die Invalidität. Neulich war bei der Startaufstellung der Dienstälteste gerade 14 Monate im Klub. Da fällt den Fans Identifizierung schwer.
„Ich weiß, dass hier seit zwei Jahren personell alles durcheinander geht“, sagte Pander nach dem 2:1. Passend zum bäuerlichen Umland seine Bitte: „Lassen wir die Mannschaft doch reifen.“ Und sibyllinisch: „Gut ist der Weg noch nicht, aber richtig.“ Käme nach dem gutmütigen Köppel der nächste Bankchef, wollte der bestimmt auch ein halbes Dutzend neuer Kräfte. Vielleicht eine Geheimstrategie: auf Dauer den Markt leer kaufen.
Bremens Ivan Klasnic, der mit seinem Sturmpartner Miro Klose mehrfach mit besten Gelegenheiten an Gladbachs Keeper Kasey Keller oder an der eigenen Selbstherrlichkeit gescheitert war, gab zu, „selten über eine Niederlage enttäuschter“ gewesen zu sein. „Sehr schön reicht eben nicht.“ Dann schlenderte er mit einer schlichten Schlussanalyse („So is Fußball“) zum Bus und bearbeitete die Tastatur seines Mobiltelefons. Er hatte viel zu erzählen.