: Terror und Menschlichkeit
WAHRE BEGEBENHEIT Die Idee kam durch eine Zeitungsmeldung: Vier Absolventen der Hamburg Media School haben mit dem Kurzfilm „Watu Wote: All of us“ den Studio-Hamburg-Nachwuchspreis gewonnen – kein Zufall
von Wilfried Hippen
Wer zu Beginn nicht viel weiß über „Watu Wote: All of us“, der wird möglicherweise erst beim Abspann, wenn all die Namen genannt werden, realisieren, dass hinter diesem Kurzfilm ein deutsches Team steckt. Und dieser Effekt wäre ganz im Sinne von Regisseurin Katja Benrath, Drehbuchautorin Julia Drache, Produzent Tobias Rosen oder Kameramann Felix Striegel: In einem Statement zum Film bekundet Regisseurin Benrath, den MacherInnen sei die Gefahr, „eine Geschichte zu ‚kolonialisieren‘ sehr bewusst“ gewesen.
Überfall im Grenzgebiet
Es ist eine „wahre Geschichte“, die da möglichst authentisch erzählt werden sollte, und zugetragen hat sie sich am 21. November 2015 an der Grenze zwischen Kenia und Somalia: Islamistische Terroristen überfielen einen Reisebus und forderten die Insassen auf, sich aufzuteilen: Christen hier, Muslime dort. Aber die Fahrgäste weigerten sich; einen Lehrer, selbst Muslim, der sich den Aggressoren entgegen stellte, schossen diese an. Er starb später an seinen Verletzungen.
Der Film erzählt diese Geschichte aus der Perspektive einer jungen, allein reisenden Christin. Diese Figur ist erfunden, es hat sie bei dem echten Vorfall nicht gegeben. Drehbuchautorin Julia Drache aber hat sie stark an einige reale Beteiligte angelehnt, mit denen sie oder andere aus dem Filmteam gesprochen haben. Diese junge Frau also, gespielt von Adelyne Wairimu, ist auf dem Weg in ihr Heimatdorf und fühlt sich als eine der wenigen Christen zuerst fremd unter den vielen Muslimen – und während des Überfalls dann existenziell bedroht. Diese Gefühle, das Unbehagen, der Schrecken, Panik und schließlich Todesangst spiegeln sich intensiv und glaubwürdig auf dem Gesicht Wairimus wider. Eine tief verschleierte Frau, die im Bus neben der Protagonistin sitzt und sich zu einer der wichtigsten und mutigsten Figuren des Films entwickelt, sagt kein einziges Wort. Eine kurze Hasspredigt, mit der der Anführer der Terroristen die anderen zum Schießen anstachelt, ist dagegen authentisch und kam nach Gesprächen mit Zeugen zustande.
Man kann in jeder Einstellung das Bemühen der Filmemacher spüren, dieser als universell verstandenen Geschichte eines kollektiven Akts der Menschlichkeit gerecht zu werden. Die Kamera bleibt so nah wie möglich bei den Menschen. Alle Dialoge im Film sind auf Swahili, einer Sprache, die weder die Filmemacher verstehen noch ein nennenswerter Teil des hiesigen Publikums, aber es wird derart stark filmisch erzählt, dass nicht ständig lange Untertitel gelesen werden müssen.
Teamwork statt Geniegedöns
Ein Grund für die Qualität besteht wohl darin, dass „Watu Wote“ die Leistung eines Teams von Gleichberechtigten ist. Dies ist untypisch für Hochschul-Abschlussfilme, aber keine Besonderheit für die Arbeiten des Filmstudiengangs der Hamburg Media School (HMS); dort entstandene Abschlussfilme sind immerhin schon mit vier Studenten-Oscars prämiert worden. An der HMS gehört es zum Selbstverständnis, den Studierenden die Arbeit im Team beizubringen. Es gibt pro Jahrgang sechs Studierende in den Sparten Regie, Drehbuch, Kamera und Produktion. In zwei Regel-Studienjahren produzieren sie jeweils zu viert drei Kurzfilme – und nach einiger Zeit wissen die Beteiligten dann auch, mit welchen unter den Kommilitonen sie am besten können. So hat das Team von „Watu Wote“ schon zuvor zusammen einen Film gedreht. Und für die nun beginnende Zeit nach dem Studium plant Produzent Tobias Rosen schon das Langfilm-Debüt desselben Quartetts.
Angefangen ohne Drehbuch
Steht normalerweise das Drehbuch am Anfang einer Filmentwicklung, wurde es bei Watu Wote“ erst mitten in der Produktion geschrieben. Zuerst hatte sich das Team füreinander entschieden – und es gab den starken Wunsch, in Afrika zu drehen: Produzent Rosen ist selbst in Südafrika aufgewachsen. Es dauerte dann aber, bis man eine starke Geschichte gefunden hatte. Erst kurz vor Ende der „Stoffbörse“, bei der Filmideen eingereicht werden und über die Realisierung entschieden wird, erfuhr man von dem Überfall auf den Bus in Kenia. Das Team legte dann nur einen entsprechenden Zeitungsartikel vor – und bekam einen positiven Bescheid.
Die erste Recherchereise führte nach Kenia, wo die Hamburger etliche der damals an den Ereignissen Beteiligte trafen. Zusammen mit der örtlichen Produktionsfirma Lightbox Africa entwickelte man das Drehbuch. Bei der Besetzung der Rollen gab es dann noch ein Problem, denn während die Kenianer von Einheimischen verkörpert werden konnten, fanden sich für die somalischen Figuren zunächst keine Darsteller. Schließlich konnte Produzent Tobias Rosen zwei Somalis auftun, die es schon nach Hollywood geschafft und in dem Film „Captain Phillips“ sogar mit Tom Hanks gespielt hatten. Sie erklärten sich bereit– ohne Gage, nur für ihre Reisekosten.
Über das Drehen in Kenia erzählt Regisseurin Katja Benrath allerlei launige Geschichten: Wie es mal ein paar Tage lang kein Wasser gab, als man gerade in der Wüste zugange war. Oder wie bei Nachtaufnahmen der einzige verfügbare Stromgenerator ausfiel. Oder wie am letzten Tag des Drehs einer der Hauptdarsteller verhaftet wurde.
Erklärtermaßen am wichtigsten war den Filmemachern, dass auch die kenianischen Beteiligten mit dem Film zufrieden waren. Nach der Premiere, zu der etliche Darsteller nach Deutschland reisten, lief der Film auf diversen Festivals – etwa dem Brooklyn Film Festival oder dem Zanzibar International – und erhielt mehrere Preise. Vorläufiger Höhepunkt war jetzt am 20. Juni der Nachwuchspreis von Studio Hamburg, Kategorie Bester Kurzfilm. Und mit dem Studenten-Oscar könnte es ja auch noch was werden.
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=im59CZGHLKw
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen