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Archiv-Artikel

Die Abfallgesellschaft

LEBENSMITTEL Wenn es um Essen geht, sind die Deutschen pingelig. Das merkt man schon daran, wie viel bei ihnen im Müll landet

VON GHASSAN ABID UND BENJAMIN ZIMMERMANN

Eigentlich steht der Joghurt erst seit wenigen Tagen im Regal. Doch da das Mindesthaltbarkeitsdatum fast erreicht ist, wird er wieder aus dem Sortiment genommen. In deutschen Supermärkten ist es üblich geworden, dass Produkte, die noch nicht abgelaufen sind, aussortiert werden. Denn wir als Verbraucher sind anspruchsvoll. So kommt es, dass man Lebensmittel, die noch vollkommen genießbar wären, einfach wegschmeißt.

Laut einer Studie der Universität Stuttgart im Auftrag des Bundesernährungsministeriums werden jedes Jahr in Deutschland elf Millionen Tonnen an Lebensmitteln weggeworfen. Etwa 60 Prozent der Abfälle stammen aus Privathaushalten. Die restlichen 40 Prozent sind Abfälle, die von Industrie, Gewerbe und Handel verursacht werden. 82 Kilogramm Lebensmittel landen bei jedem Deutschen jährlich im Müll – ein Warenwert von 235 Euro.

„Zu gut für die Tonne“ heißt die Initiative, die das Bundesernährungsministerium aufgrund dieser Zahlen ins Leben gerufen hat. Damit die Verbraucher bewusster einkaufen, lautet die Empfehlung schlicht: Einkaufszettel benutzen. In beeindruckender Einigkeit forderten die Bundestagsfraktionen – mit Ausnahme der Linkspartei – im Oktober 2012, die Lebensmittelverluste bis 2020 zu halbieren. Dennoch sind bis jetzt Vorschriften für den Handel, wie etwa die Abgabepflicht noch haltbarer Lebensmittel an gemeinnützige Einrichtungen, ausgeblieben.

Acht Tonnen täglich

Doch immer mehr karitative Einrichtungen holen sich die aussortierten Lebensmittel direkt vom Supermarkt ab. Die Berliner Tafel sammelt mit rund 600 aktiven Helfern täglich bis zu acht Tonnen an Lebensmitteln, die sonst im Müll gelandet wären. Nach eigenen Aussagen verteilen sie auf diese Weise monatlich 650 Tonnen Lebensmittel an Bedürftige.

Die Edeka-Filiale in Berlin-Moabit arbeitet seit zwei Jahren mit der Berliner Tafel zusammen. Waren, deren Mindesthaltbarkeitsdatum in zwei bis drei Tagen abläuft, werden regelmäßig aus dem Sortiment genommen und unentgeltlich an die Tafel weitergegeben. Abgelaufene Artikel hingegen müssen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen vernichtet werden, bekräftigt Filialleiterin Sygun Schliebe. In Supermärkten gelte das „First-in-First-out-Prinzip“, wonach länger haltbare Waren entweder in den untersten oder hinteren Reihen von Regalen zu finden seien. Allerdings griffen etliche Kunden in der Edeka-Filiale bewusst nach den frischeren Waren, bemängelt Schliebe. Infolgedessen müssten die liegengelassenen Produkte entsorgt werden.

Auch die Verbraucher entscheiden beim Einkaufen darüber, was weggeworfen wird und was nicht. Doch wer greift schon zum älteren Joghurt? Oder zur Banane mit Dellen? Die Initiative „Zu gut für die Tonne“ gibt es erst seit diesem Frühjahr. Wie wirksam sie ist, bleibt abzuwarten. Doch mit dem ehrgeizigen Ziel, bis 2020 die Lebensmittelverschwendung zu halbieren, müsste man den gesamten Produktionsprozess miteinbeziehen. Beginnend bei der Landwirtschaft bis hin zum Endverbraucher.