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Space is the place!

AFROFUTURISMUS Der Science-Fiction-Film „Space Is the Place“ mit dem Jazz-Avantgardisten Sun Ra mischt Sozialkritik mit einfallsreichen Kostümen

Das Ende naht. Am Anfang steht das noch nicht fest. Irgendwann aber ist es dann nicht mehr zu übersehen: Die Tage der Erde sind gezählt. Rettung naht aus dem All. Von dort kommt der Musiker Sun Ra nach Erkundungsreisen in Raum und Zeit auf die Erde zurück. In einem gelben Raumschiff, dessen Form an das Augenpaar eines fremdartigen Lebewesens denken lässt. Rot gestrichelte Linien schießen aus diesen „Augen“ hervor, machen aber wohl nichts kaputt. Denn was Sun Ra den Menschen bringt, ist das Gegenteil von Waffen. Deren Klang ist Zerstörung und auf der Erde vorherrschend. Sun Ra hingegen bringt Musik, mit der er theoretisch den kompletten Planeten teleportieren könnte.

In „Space Is the Place“ von 1974, dem mutmaßlich einzigen Film John Coneys, spielt der Jazz-Avantgardist Sun Ra sich selbst. Das ginge auch gar nicht anders. Vermutlich wäre der Film schon toll genug, wenn der Pianist, Organist, Synthesizerspieler und Jazzvisionär einfach die vollen 80 Minuten mit seinem Arkestra in Aktion zu sehen wäre, samt afrofuturistischer Kostümierung, die sich von der Ikonografie des Alten Ägyptens inspirieren ließ. Am Montag präsentiert das Babylon-Mitte die neue digitale Fassung, nach einer musikalischen Begrüßung durch das Sun Ra Arkestra, das seit dem Tod des Meisters 1993 unter Leitung von Marshall Allen weitermacht. Am Dienstag treten sie im Festsaal Kreuzberg auf.

„Space Is the Place“ ist gleichwohl kein Konzertfilm – ein Konzert des Arkestra gibt es zu sehen, das ist jedoch denkbar kurz –, sondern erzählt eine Geschichte. In etwa geht sie so: Sun Ra, zurück auf der Erde, verfolgt das Projekt, die schwarzen Menschen zu retten, die in der von Rassismus und Gewalt geprägten Welt keinen Platz mehr haben.

Komplott der Nasa

Sein Gegenspieler, der „Overseer“ (Raymond Johnson), will Sun Ras Vorhaben zum Scheitern bringen: Als Schwarzer arbeitet er heimlich im Dienst der Weißen. Auch die Nasa ist hinter Sun Ra her und geht sogar so weit, ihn zu entführen, um von ihm die Preisgabe des Geheimnisses seiner musikbasierten Raumfahrttechnik zu erzwingen.

So weit, so plakativ. Und der Schluss gerät sogar recht heikel, wenn Sun Ra mit einer Gruppe Auserwählter die Erde in letzter Sekunde vor ihrem Untergang verlässt, um im All eine neue Zivilisation zu gründen. Das wirkt wie eine identitäre Heilsbotschaft nach dem Geschmack der Zeugen Jehovas: Für alle reicht es eben nicht.

Dennoch sollte das einen nicht davon abhalten, diesen über seine liebevolle Ausstattung hinaus durchaus ansprechenden Film anzuschauen. In seinen besten Momenten gelingt Sun Ra darin ein spielerischer Umschlag vom vermeintlich Albernen in treffende Sozialkritik.

Etwa wenn er in Kalifornien einem schwarzen Jugendzentrum sein Vorhaben vorstellt und ihn die anderen erst einmal kritisch beäugen, eine geschickte Verkaufsstrategie für seine Platten hinter seinen Worten vermuten oder sich über seinen Aufzug lustig machen: „Warum sind deine Schuhe so groß?“, fragen sie ihn. Oder, grundsätzlicher: „Bist du echt?“ Darauf Sun Ras entwaffnende Antwort: „Ich bin nicht echt, genauso wenig wie ihr. Ihr existiert nicht in dieser Gesellschaft.“

Die Szenen lockert John Coney durch zwischenmontierte Aufnahmen des Sun Ra Arkestra auf, in denen die Sängerin June Tyson Zeilen wie „We’re living in the space age“ singt. Das ist musikalisch eindringlich – und hat als Botschaft mit den Erfahrungen von Ferguson und dem Wiedererstarken rassistischer Gewalt in den USA seit Trump neue Aktualität erhalten. Vielleicht gibt es ja noch eine Alternative zu Apokalypse und afroamerikanischen Kolonien im All. Tim Caspar Boehme

„Space Is the Place“. 26. Juni, 20 Uhr, Babylon-Mitte, vorab Auftakt mit dem Sun Ra Arkestra; Konzert: 27. Juni, 20 Uhr, Festsaal Kreuzberg

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