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Das Ding, das kommtDer Klang der Krise

Mit einem Hydrophon – hier ein Modell für interessierte Laien – lassen sich Tierlaute unter Wasser einfangen und aufzeichnen. Oder das Klagen schmelzenden Polar-Eises Foto: Christian Fischer/Wikimedia Commons

Nehmen wir den Wal. Seit den 1960er-Jahren weiß der Mensch, dass der Wal hörbar miteinander kommuniziert: Er singt, sozusagen, und es spricht viel dafür, dass ihm genau das besondere Sympathien eingebracht hat. Wo lange Zeit nur Monster war (oder vielleicht noch ein schwimmender Lieferant von Tran und Speck und Seife), ist Speziengrenzen hinterfragende Projektionsfläche geworden, und aus „Moby Dick“ etwas, das dem Menschen heute auf wundersame Weise nahe erscheint. Später wurde der Gesang der Wale einerseits mit der Voyager-Sonde ins All geschossen, andererseits zur beliebten Klangtapete. Und jene vermutlich erste Platte mit Buckelwal-Gesängen erschien 1970 bei keiner Esoterikklitsche, sondern beim Majorlabel Capitol, Heimat der Beach Boys.

Wie aber der Schall sich unter Wasser ausbreitet, gibt Auskunft über viel größere Zusammenhänge, glaubt man David G. Browning von der Acoustical Society of America (ASA): Einem Artikel aus dem Jahr 2012 zufolge ändert der Klimawandel – genauer die Emission von CO2-Emissionen – nicht nur den pH-Wert des Wassers, sondern damit auch das Resonanzverhalten des Wassers. Wale wiederum „unterhalten“ sich auf Frequenzen unterhalb von 200 Hertz, und solche Bereiche sind umso weiter entfernt zu hören, je saurer das Wasser ist.

Es singt aber ein Lied vom zunehmend ungemütlichen Dasein nicht nur der Buckelwale, sondern auch der Eisberge: Forscher der Universitäten von Alaska und Texas glauben, dass im Eis eingeschlossene Luftbläschen beim Schmelzen Geräusche absondern – je kleiner das Bläschen, desto höher der Ton.

An der Leuphana-Universität in Lüneburg ist dieser Tage nun die „politische Geografin“ und Sound-Künstlerin Anja Kanngieser zu Gast, die sich für die Zusammenhänge von Klang, Raum und Politik interessiert. „Sound wurde erfolgreich eingesetzt, uns zu zeigen, wie katastrophal die Beschleunigung der globalen Umweltveränderungen ist“, heißt es in der Ankündigung zu ihrem Vortrag, der am Dienstag erkunden will, „wie Sound mit der ökologischen Krise umgeht und auf sie aufmerksam macht. Am Donnerstag dann soll es gar um die Vermittlung von Fertigkeiten gehen, die hilfreich sein können in politischen wie ökologischen Krisen – und das meint nicht Langstreckenschwimmen oder Hausbootbau. aldi

Anja Kanngieser in Lüneburg: Lecture „Listening in a time of crisis“: Di, 27. 6., 18 Uhr, Wasserturm Lüneburg e. V.; Workshop „Listening to the world“: Do, 29. 6., 10–14 Uhr, Digital Cultures Research Lab, Am Sande 5

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