: An den Gesichtern bleibt man kleben
KINO AFRIKA Junge Regisseurinnen und atemberaubende Schauspielerinnen prägen die Reihe „Afrikamera“ im Arsenal
VON JENNI ZYLKA
„Strand und Meer nur für Weiße“, steht auf dem Schild. Aber seit Otelo und sein Freund New Year gesehen haben, wie man, freihändig auf einem merkwürdigen „kleinen Boot“ stehend, über die Wellen gleiten kann, brennen sie vor Verlangen: „Otelo Burning“ heißt der Erstlingsfilm der südafrikanischen Filmemacherin Sara Blecher. Und das in isiZulu gedrehte Coming-of-Age-Drama findet klare Bilder für unerträgliche Zustände: Weil die Geschichte um den surfverrückten jungen Mann in den 80ern spielt, werden Gangkriege im Getto, brutale Strafmethoden der Inkatha und schließlich das Ende der Apartheid schnell zum eigentlichen Thema. Großartige Surfszenen mit Talenten auf geliehenen Brettern wechseln sich mit der Enge des Gettos ab, und auch wenn die Symbolik von Surfsport als Inkarnation der Freiheit vielleicht ein wenig schwülstig erscheint, bleibt man an den Gesichtern der Protagonisten kleben.
Auch die fünfte Ausgabe des Festivals „Afrikamera“ hat die große Aufgabe übernommen, aus den vielen unterschiedlichen, dringlichen, unterhaltsamen, tragischen oder eindrücklichen Geschichten des großen Kontinents einen Mix zu präsentieren, der möglichst vielen Aspekten gerecht wird. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt auf Frauen vor und hinter der Kamera. Die Filmemacherinnen Afrikas finden deutliche Bilder und Worte: Yaba Badoes preisgekrönter Dokumentarfilm „Witches of Gambaga“ ist die Langzeitbeobachtung eines „Hexencamps“ in Gambaga, in dem Frauen, die zu Hause als Hexen denunziert wurden, manchmal jahrzehntelang leben,
Die Hexenprüfung
Die ghanaische Hexenprüfung besteht aus der Schlachtung eines Huhns – verendet es mit in Richtung Erde geöffneten Flügeln, ist die Anschuldigung leider wahr, und die Frau wird aus ihrer familiären und dörflichen Gemeinschaft verstoßen. Badoe, die in der Nähe des Hexencamps zur Welt kam und in England ausgebildet wurde, weist unermüdlich auf die finanziellen Vorteile hin, die der Häuptling des Hexencamps aus der Abhängigkeit der Frauen zieht: Sie müssen zahlen, um im Camp Schutz zu finden, sogar noch mehr, wenn sie wieder nach Hause wollen.
In einem düsteren Kurzfilm erschlägt eine Frau ihren Ehemann, weil sie seine Gewalttaten nicht länger erträgt, und geht dafür ins Gefängnis. 90 Prozent aller weiblichen Gefängnisinsassen Mosambiks, heißt es lakonisch im Nachspann, wurden aus genau diesem Grund verurteilt. Armut und Gewalt, vor allem gegen Frauen, sind ein trauriger Standard. In Mosambik sind 66 Prozent der Frauen Analphabetinnen.
Unpolitischer, aber ebenso mitreißend erzählt der senegalesische Regisseur Léandre-Alain Baker in „Ramata“ die Geschichte einer verzweifelten Liebe: Die atemberaubende Ramata ist um die 50 und lebt als Ehefrau eines Ministers ein privilegiertes Leben in der Upperclass von Dakar. Ein junger Kleinkrimineller, der sie entführt, in einer mysteriösen Bar betrunken macht und schließlich ein Verhältnis mit ihr beginnt, wird ihr Lebensmittelpunkt: Sie verlässt ihren Mann für ihren Liebhaber, doch der will schnell nichts mehr von ihr wissen.
Neben der ambivalenten Aussage („völlige Hingabe für sinnlose Liebe“), und einer Inszenierung, die viel im Kopf stattfinden lässt, ist vor allem die Hauptdarstellerin interessant: Katoucha, ehemals für Thierry Mugler und Yves Saint Laurent als Model unterwegs, hat vielleicht nicht die technischen Mittel, um die inneren Dramen ihrer Figur darzustellen, aber allein ihr melancholisches Gesicht und ihr wahres Schicksal wären einen eigenen Film wert. Katoucha, die als Kind von Guinea über Mali nach Senegal kam, mit neun Jahren Genitalverstümmelung erleiden musste, später darüber ein Buch schrieb und auf einem Hausboot in Paris lebte, ertrank mit 47 Jahren vor ihrer Haustür in der Seine. Sie ist eines der ersten afrikanischen Topmodels, die schwer mit dem Nebeneinander ihrer Arbeitswelt und ihrer Heimat kämpften.
In der Krabbenfabrik
Der Dokumentarfilm „Robert Mugabe – what happened?“ setzt eine Biografie des ehemaligen Staatschefs von Simbabwe in Bezug zu der kolonialen Geschichte des Landes: ein weiterer Aspekt im dem vielschichtigen Programm. Aber es ist vor allem der Eröffnungsfilm „Sur la planche“, das Debüt der marokkanischen Regisseurin Leila Kilani, der jedes Vorurteil hinwegwischt, die „afrikanische“ Filmwirtschaft stehe künstlerisch noch am Anfang: Ihr Porträt zweier junger Arbeiterinnen einer Garnelenfabrik, die nachts Diebstähle begehen und schließlich „das große Ding“ drehen wollen, ist eigenwillig, durch selbstbewusst eingesetzte Handkamera extrem persönlich und außerordentlich gut gespielt. Wenn die Protagonistin in einer Plastikwanne sitzt und sich verbissen den Krabbengeruch aus der Haut zu schrubben versucht, kann man die Verzweiflung in dem schmuddeligen Zimmer direkt greifen.
■ Afrikamera 2012 – African Women On and Behind the Screen, 11. bis 18. November im Arsenal