Berlinmusik: Im Club und anderswo
Zeiten großer Verunsicherung führen ja gern zu konservativen Backlashs. Man besinnt sich auf das, was man hat oder meint zu haben. Das gilt für Fragen der Familienführung wie für die Regeln im Club. Bei Techno kann man vielerorts Rückzugsgefechte beobachten, eine Besinnung auf die guten alten Werte, und danach klingt die Musik dann gern schon mal.
Zum Glück geht es auch anders. Dann macht die Verunsicherung den Raum im Kopf frei für neue Ideen, andere Perspektiven, offenere Musik. Also genau das, was eigentlich in der Kunst immer passieren sollte, wenn sie keine Bestandswahrung sein soll. Das Berliner/Hamburger Duo Session Victim lässt sich von den Verwerfungen in der Welt jedenfalls nicht aus der Ruhe bringen. Die beiden House-Produzenten Hauke Freer und Matthias Reiling sagen auf ihrem dritten Album „Listen to Your Heart“ und rufen so die große Ausgelassenheit im Club aus.
Samples kommen bei ihnen von fast überall her, zumindest von dort, wo ein Groove in den Tönen zu finden ist, ob im Bass, in den Gitarren, im E-Piano oder in gelegentlichen Bläsern. Da stehn Vergangenheit und Gegenwart dicht beieinander, ohne dass die eine die andere bedrängen oder ihr das Licht wegnehmen würde. Man geht vielmehr fröhlich aufeinander zu.
Das Wort „positiv“ ist dieser Tage zwar eher negativ besetzt, man kann aber ohne Übertreibung sagen, dass die Tracks der beiden, tatkräftig unterstützt vom Hamburger Kollegen Carsten „Erobique“ Meyer, früher bei International Pony, allemal Laune machen. Das ist nicht nur nicht verkehrt, sondern durch und durch richtig. Und jetzt alle tanzen, bitte.
Einer anderen Art von Offenheit haben sich die Berliner Elektroniker Kilchhofer & Hainbach verpflichtet. Ihre Schallplatte „Acosta“ ist dabei kein gemeinsames Werk, sondern eine großzügige Split-EP, die von der Länge her ebenso gut Album genannt werden dürfte. Hinter Kilchhofer verbirgt sich der Maler und Musiker Benjamin Kilchhofer, der unter anderem als Timoka veröffentlicht hat. Hainbach hingegen ist ein Projekt des Komponisten Stefan Paul Goetsch, der etwa Theater- und Filmmusik macht. Beide bevorzugen ruhige, introspektive Stimmungen mit oder ohne Beat. Kilchhofer vorwiegend verschroben-heiter, Hainbach neigt zu dunkleren Färbungen. Einschränken lassen auch sie sich nicht.
Tim Caspar Boehme
Session Victim: „Listen to Your Heart“ (Delusions of Grandeur)
Kilchhofer & Hainbach: „Acosta“ (Marionette)
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