: Wege aus der Verunsicherung
KINDERSCHUTZ Der Fall Kevin hat Bremen verändert: Kinderschutz-Konferenz diskutierte gestern über Qualitätsstandard für die beteiligten Hilfesysteme
Ingelore Rosenkötter, Sozialsenatorin
Vorher-Nachher-Betrachtungen sind manchmal tückisch. So sagte vor Beginn der gestrigen, vierten Bremer Kinderschutzkonferenz Sozialamtsleiter Peter Marquard, die finanzielle Seite der Inobhutnahmen von Kindern habe „auch vor dem Fall Kevin keine Rolle gespielt“.
Eine überraschende Einschätzung. Denn „das Thema der Kosten“, so fasste der damalige Untersuchungsausschuss Kindeswohl zusammen, hatte seinerzeit „zunehmend an Bedeutung gewonnen“. Ein „Klima der Angst und Schuldzuweisung“ sei charakteristisch gewesen für die damaligen Controlling-Gespräche.
Es spricht für die neue Atmosphäre im Amt, dass Marquard derartige Zustände für undenkbar hält. Sie waren indes Hauptgrund dafür, dass er den unseligen Jürgen Hartwig als Leiter ablöste, und Ursache dafür, dass Ingelore Rosenkötter (SPD) zur Sozialsenatorin avancierte: Der Fall des Kleinkinds Kevin hat Bremen verändert. Der Junge war vor drei Jahren im Kühlschrank seines Ziehvaters geborgen worden, gestorben durch dessen Misshandlungen – vor denen eine Inobhutnahme das Kind hätte bewahren können.
Die nachhaltigeren Änderungen sind dabei die Umstrukturierungen, zu denen auch die Kinderschutzkonferenz zählt: Nach niedersächsischem Vorbild 2007 eingeführt, bringt die Tagung mittlerweile jährlich die Kooperationspartner und Experten des Themenfeldes zusammen – um unterschiedliche Denkweisen vorzustellen, aufeinander abzustimmen und zu diskutieren. Auch dadurch habe sich in Bremen in Sachen Kinderschutz mittlerweile „ein Miteinander“ etabliert, „das als beispielhaft gelten kann“, so Pastor Michael Schmidt von der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege.
Auch das war früher anders: „Viele Mitarbeiter des Amtes und der freien Träger kannten sich damals gar nicht“, so der Berliner Soziologe Reinhart Wolff, der von 2007 an im Auftrag Rosenkötters 450 Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe fortgebildet hat (taz, 31. 10.). Die Situation sei geprägt gewesen von „großer Verunsicherung“.
Aus den Fortbildungen heraus entstanden ist der „Bremer Qualitätsstandard: Zusammenarbeit im Kinderschutz“, den Wolff auf der Konferenz vorstellte. Es unterstreicht den Willen, Kinderschutz als gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe aufzufassen und neu zu strukturieren – vom Kontrollapparat zum partnerschaftlichen Hilfssystem. „Wir verfolgen hier einen präventiven Ansatz“, so Rosenkötters Resumee des Unterfangens. BES